Die Schwäche der Genies

Im Kino: »Taking Sides - Der Fall Furtwängler« von István Szabó

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
Am 16. November 1947 dirigierte Wilhelm Furtwängler zum ersten Mal nach dem Krieg die Wiener Philharmoniker. Es gab vor dem Musikvereinsgebäude Demonstrationen, die das Konzert des »Nazis« Furtwängler verhindern wollten. Es fand dennoch statt, das Publikum jubelte. So fremd stehen sich Kunst und Politik gegenüber, oft sogar feindlich. Die Kunst vermag der Politik weniger gefährlich zu werden als die Politik der Kunst. Denn die Kunst ist machtlos, auf Duldung durch Macht und Geld angewiesen. Große Künstler sind, wenn es um ihre Kunst geht, oft rücksichtslos. Tugendmeister zu sein, können sie sich nicht leisten. Die Mächtigen kommen und gehen, aber die Kunst bleibt und muss hier und jetzt stattfinden. Nur mit Politik (egal welcher), ohne die Kunst: mancher wüsste da nicht, wozu überhaupt leben. Aber, so fragt man sich, gibt es keine moralische Verpflichtung von Kunst, sich nicht als Aushängeschild einer Diktatur missbrauchen zu lassen? Einigen hat nur die Musik Kraft gegeben, Erniedrigung und Demütigung zu überstehen. Große Kunst entzieht sich jedem rüden Propagandazugriff. Sie demonstriert Größe jenseits von Machtanmaßung. Aber wie weit darf sich der Künstler, der seiner Kunst dienen will, mit einer verbrecherischen Macht einlassen? Bis wohin ist er ein fintenreicher Anwalt seiner Kunst, ab wann prostituiert er sich bloß noch? István Szabó lässt seit »Mephisto« (1981) das Thema Kunst und Politik nicht los. Künstler sind schwache, verführbare Menschen. Sie brauchen den Beifall, sie sind für Schmeicheleien empfänglich, denn Eitelkeit gehört zur Bühnenexistenz dazu. Und Furtwängler, das wird bezeugt, war extrem eitel, beifallsbesessen. Bekam ein anderer mehr Beifall als er, war er schon dessen Feind. Aber wohl niemand dirigierte so suggestiv, machte die Musik so transparent bis auf den Grund der einzelnen Motive und brachte doch zugleich alles in ein geheimnisvoll-dunkles Fließen. Sein großer Gegenspieler, der virtuose Notenpedant Toscanini, fand Furtwänglers Hin- und Hergewoge der Töne bloß grässlich. Das steht doch gar nicht in der Partitur, murrte er. Furtwängler, dem das hintertragen wurde, konterte: »Wo Toscanini aufhört, fange ich erst an.« Legendär ist seine Studio-Schallplatteneinspielung der »Walküre« von Oktober 1954. Eine kongeniale Aufnahme, ein Musikdokument ersten Ranges. Einen Monat später war Furtwängler tot, an einer Lungenentzündung gestorben. Szabó hat schon mit Klaus Manns »Mephisto« die Geschichte des genialen Schauspielers Gustav Gründgens erzählt. Der war wie Furtwängler selber nie Nazi, ließ sich jedoch wie dieser von ihnen als »Staatskünstler« hofieren. Beide halfen jüdischen Kollegen, aber verließen nie demonstrativ das Land, so wie es Thomas Mann, Marlene Dietrich und hunderte andere Künstler taten. Ein moralisches Versagen? Natürlich. Aber welche Folgen soll es haben - Ächtung, Berufsverbot, Gefängnis? Dieser Film beschränkt sich auf ein Verhör, das Aufeinandertreffen von Sieger und Besiegtem nach dem Krieg. Steve Arnold (Harvey Keitel) ist der mit dem »Fall Furtwängler« betraute amerikanische Major, in seinem Privatleben in Texas Schadensregulierer bei einer Versicherung. Für ihn sind alle Rechtfertigungsversuche des Dirigenten bloß faule Ausreden. »Furtwängler? Hitlers Lieblingsdirigent«, Punkt. Damit bekommt die Auseinandersetzung etwas Billiges. Rüder Texaner, der keine Ahnung hat von Musik und der vielleicht größte Dirigent des 20.Jahrhundert. Da ist es klar, wem die Sympathien gehören. Diese moralische Selbstgewissheit des Amerikaners, dieses penetrante Insistieren: Wieso haben Sie am Vorabend des »Führer-Geburtstags« dirigiert? Wie sah es genau aus, als sie den Hitlergruß verweigert haben? Warum haben Sie Goebbels nach einem Konzert die Hand gegeben ? (Hinterher hat sich Furtwängler, wie Dokumentaraufnahmen zeigen, mit einem Taschentuch die Hand abgewischt.) Das ist die Art, aus einem Menschen Gesinnung herauszuverhören, die das Bild eines verdorbenen Menschen in ihn hineinverhört. Gegen diese Art von Gesinnungsjustiz wendet sich der Film. Hier prallen Welten aufeinander, die sich nicht verstehen können. Man redet aneinander vorbei. Moritz Bleibtreu spielt einen jungen deutschen Juden, der nun als amerikanischer Offizier mit Major Arnold das Verhör führt. Er ist voller Ehrfurcht dem Dirigenten gegenüber. So dürfen sie nicht mit diesem Mann reden, das ist der größte Dirigent des Jahrhunderts, sagt er zu Arnold. Und die Protokollantin beim Verhör ist die Tochter eines nach dem 20. Juli erschossenen deutschen Offiziers. »Das hier erinnert mich an Gestapo-Verhöre«, sagt sie - und geht. Szábó will den Blick schärfen für die Analogien von Geschichte. Übernehmen die Sieger die Methoden der Besiegten? Aber die moralische Empörung Major Arnolds (den Harvey Keitel nicht denunziert) ist echt. Er versteht nicht, wie Opfer der Nazis noch einer dieser privilegierten »Bandleader« verteidigen können. Er war einer der Ersten, die befreite Konzentrationslager sahen, da kann er den Stolz auf einen verweigerten Hitlergruß nur verachten. Warum kommt diese hochaktuelle Thematik von Schuld und Verstrickung eines Künstlers in finstere politische Macht stellenweise plakativ daher? Weil wir kein Bild von Furtwängler bekommen, weder als Mensch noch als Künstler. In »Mephisto« sahen wir den »Aufstieg« eines Schauspielers bis hin in die Loge von Göring. Hier sehen wir nur immer Furtwängler im Zerrspiegel eines texanischen Versicherungsmenschen, der den Namen Furtwängler noch nie gehört hat. Das verschenkt einiges an Tiefe in der Frage nach der Verantwortung des Künstlers. Kurt Sanderling fällt mir ein, der die Leningrader Philharmoniker dirigierte, 1941, als die Wehrmacht noch dabei war zu siegen. Auch ein Künstler kann menschliche Größe zeigen. Die Frage ist ja, ob alle deutschen Dirigenten hätten emigrieren sollen, ob der dagebliebene Dirigent sich vielleicht trotzdem moralisch verhalten hat. Aber diese Frage kann sich nicht entfalten, weil Major Arnold sie immer auf zu kurzgriffige Weise ausspricht und der Film keine andere Ebene findet, auf Furtwängler zu blicken. So erscheint Furtwängler (sehr fern: Stellan Skarsgård) als ein introvertierter Klotz, der nicht verstanden wird und nicht versteht. Er weiß nicht, was dieser Amerikaner von ihm will, er will nur eins: wieder dirigieren. Bedauerlich, Szabó findet keinen Zugang zu Furtwängler, sein Bild bleibt äußerlich. Und ob dieses richtig ist, scheint mir auch fraglich, denn Furtwängler war ein eloquenter Gesellschaftsmensch, der eine Vielzahl unehelicher Kinder hinterließ, also das Gegenteil eines in sich gekehrten Taktstockfetischisten. Hat er sich die Frage nach seiner Mitverantwortung jemals ernsthaft gestellt? Wir wissen es nicht. Und auch Szabó dringt nicht zu dieser Frage vor, immer drängt Steve Arnold auf rüde Weise jede Nachdenklichkeit beiseite. Das ist auch eine Aussage, vielleicht die eigentliche, um die es Szabó geht. Der »Fall Furtwängler« ist ein vor allem an Boulevardbühnen gespieltes Theaterstück. Es hat große Schwächen. Das Boulevardtheaterpublikum, das meist wenig von klassischer Musik und der abgründigen Künstlerseele versteht, ist immer sofort auf Furtwänglers Seite. Das Thema, das hier nur unzureichend angedeutet wird, es geht einem länger nach als das Theaterstück - und auch als dieser Film. Den Anstoß dazu gibt uns Szabó, aber mehr auch nicht. Filmisch bleibt er unter seinen Möglichkeiten. Wir sehen weder ein Drama noch eine Farce, sondern letztlich nur ein mit hervorragenden (auch deutschen) Schauspielern wie Ulrich Tukur und Moritz Bleibtreu aufgerüstetes Boulevardtheater. Ein wunderbares Wiedersehen bietet der Film mit Oleg Tabakow (Iskremas aus »Leuchte, mein Stern, leuchte«). Er spielt den russischen Kulturoffizier Oberst Dymschitz als ideologiefreien Schalk, der sich für Furtwängler einsetzt. Auf die Frage des Political-correctness-Amerikaners, warum er denn unbedingt Hitlers Lieblings-Dirigenten schützen will, entgegnet er: Weil er auch mein Lieblingsdirigent ist! Ja, die russischen Kulturoffiziere verstanden etwas von Kunst. Und auch etwas von den Verstrickungen von Kunst mit Politik. Auf dieses sehr gegenwärtige Feld führt uns Szabó mit unübersehbaren Andeutungen. Wer wüsste besser als er, dass »Staatskunst« ein Totschlagsargument ist. So moralisch sind gegenwärtige Politik und Wirtschaft ja nun auch nicht. Oft wird mittels politischer Verdächtigung nur gefürchtete Konkurrenz aus dem Feld geräumt. Genies sind gelegentlich kleine, eitel-egoistische Menschen, wie wir alle. Die kunstfern moralische Weltanschauung aber will, der große Künstler solle auch ein großer Mensch sein. Das ist wohl etwas zu viel verlangt. Die allermeisten von uns ...

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