Eine Servicewüste für Nazis

Wie Friedrichshain Rechte aus dem Kiez vertreiben will / Gedenkdemo für Silvio Meier

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Spitze der Silvio-Meier-Demonstration auf der Frankfurter Allee am Samstag
Spitze der Silvio-Meier-Demonstration auf der Frankfurter Allee am Samstag

Friedrichshain schlägt Alarm. Immer mehr rechtsextreme Übergriffe werden registriert. Das beginnt mit Pöbeleien und endet mit körperlichen Attacken. Im Juli wurde eine 20-jährige Frau zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt, weil sie auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee einen Angolaner ins Gleisbett gestoßen hatte. In letzter Sekunde war der Mann vor dem einfahrenden Zug gerettet worden. In der Samariterstraße wurde das alternative Sama-Café von Nazis überfallen.

Nun wollen die Bürgerinitiative gegen Rechts und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) zusammen mit Geschäftsleuten den Nazis in Friedrichshain den Aufenthalt so schwer wie möglich machen. Mit der Broschüre »Servicewüste für Nazis« werben sie mit Flyern und Aufklebern wie »Für Nazis keine Happy Hour« für einen weiterhin toleranten Kiez. Unterstützt wird die Aktion von den Abgeordnetenhausmitgliedern Canan Bayram (SPD) und Clara Herrmann (Grüne). Einen Teilerfolg sieht Wirtschaftsstadtrat Peter Beckers (SPD) darin, dass dem Thor-Steinar-Laden im Ring-Center gekündigt wurde.

In der »Handreichung für Gewerbetreibende« werden auch Tipps gegeben, wie verhindert werden kann, dass Rechtsextreme sich in Kneipen breit machen. Beispielsweise durch Kreativität: Per Plakat könnte verkündet werden, dass ein Anteil von jedem Getränkepreis an eine antirassistische Organisation geht. Oder man kann seine Kneipe (vorübergehend) in einen Klub umwandeln. Die Klubkarten erhalten gegen eine geringe Gebühr nur diejenigen, die man wirklich haben will. Wenn den Nazis gezeigt wird, dass sie als Gäste unerwünscht sind, dann hat das meist auch Erfolg, heißt es in der Broschüre.

Viele Gastronomen sehen allerdings ein Problem darin, dass Rechtsradikale schon lange nicht mehr äußerlich erkennbar sind. Außerdem fühlen sich Geschäftsleute oft von der Polizei allein gelassen, wenn sie rechtsextreme Pöbeleien anzeigen. »Das wird vielfach nicht ernst genommen«, so ein Kneipenwirt.

In der vom Verfassungsschutz veröffentlichten Studie »Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006« wird festgestellt, dass Friedrichshain in diesem Zeitraum nach Prenzlauer Berg und Lichtenberg der Ortsteil mit den meisten rechtsextremen Gewalttaten war. »In diesem Jahr wurden uns 28 Übergriffe von Rechten gemeldet«, so Annemarie Benzing von der MBR. Zwei davon seien in Kreuzberg passiert.

An eine Gewalttat vor 16 Jahren erinnerten am Sonnabend Hunderte Demonstranten. Am 21. November 1992 wurde der Friedrichshainer Hausbesetzer Silvio Meier am U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis erstochen.

Die Polizei nahm am Rande der Demonstration, die von Friedrichshain nach Lichtenberg zog, sieben Menschen fest – darunter fünf Rechte, die sich entlang der Route im Lichtenberger Weitlingkiez in einem Hausflur vermummt und mit Knüppeln bewaffnet getroffen hatten. Außerdem wurden eine Axt, andere Schlagwerkzeuge, Quarzsandhandschuhe und Pfefferspray beschlagnahmt. Nach Polizeiangaben verlief die Demonstration mit bis zu 1200 Teilnehmern friedlich. Die Veranstalter sprachen von rund 2000 Teilnehmern. Zeugen berichteten von Naziprovokationen im Verlauf der Demonstration. So hätten einige Neonazis Farbeier von einem Dach in der Weitlingstraße auf die Antifaschisten geworfen.

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