Erich und die Depressionen

Ein witziger, ernster und bitterer Erich Kästner-Abend im Kabarett Charly M.

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Allet wird teurer, nur die Ausreden werden billiger!«, stöhnt Madeleine Lierck-Wien entnervt. Wochenlang geprobt, nun soll die Vorstellung beginnen – und ihr Saxofonist (Petko Datschev) muss sich erst noch »einblasen«; auch von Sohn Fabian ist weit und breit nichts zu sehen. »Diesmal werd’ ich aber... kein Pardon... so konsequent wie noch nie«, murmelt die Schauspielerin vor sich hin – bis Fabian doch noch fröhlich lächelnd auf die Bühne springt. Da blüht ihr Gesicht auf, die Vorwürfe sind schlagartig vergessen.

Schon diese Eingangsszene beschreibt treffend das Verhältnis zwischen Müttern und Söhnen, besonders wenn der Sohn das einzige Kind ist wie im Falle Erich Kästners, um den es an diesem Abend im Kabarett Charly M. geht. Bekanntermaßen hatte der große deutsche Schriftsteller und Lyriker zeitlebens eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter Ida, und so passt es besonders gut, dass auch der Kästner-Abend unter dem Titel »Die Zeit fährt Auto, und kein Mensch kann lenken« von Mutter und Sohn auf die Bühne gebracht wird. Madeleine Lierck-Wien und Fabian Oscar Wien, der dem jungen Kästner durchaus ähnlich sieht, haben das Spielbuch selbst erdacht und stellen unter der Regie von Peter Tepper den Lebensweg des Autors in Szenen, Briefen, Liedern und Gedichten nach – oft witzig und amüsant, aber auch ernst, melancholisch und bitter.

Glücklicherweise klebt das Stück nicht an der Biografie, sondern nennt nur die wichtigsten Stationen. Ein kurzer Abriss der Kindheit Kästners in Dresden-Neustadt, wo die Mutter den Jungen mit Heimarbeit und Zimmer-Untervermietung durchbringt – schon sieht der Zuschauer den mittlerweile 19-Jährigen aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehren. Der brutalen Ausbildung bei der Artillerie verdankte er eine lebenslange Herzschwäche und eine ebenso lebenslange Abneigung gegen alles Militärische. Kästners Studienzeit in Leipzig war geprägt durch vielerlei Jobs und etliche Affären, von denen nicht alle glücklich endeten. So mancher Zuschauer wird erstaunt gewesen sein zu erfahren, wie bitterböse er in dieser Stimmung über Frauen schrieb – so folgen dem berühmten Ausruf »Wenn’s doch Mode wäre zu verblöden« die Zeilen: »Wenn’s doch Mode würde, diesen Kröten jede Öffnung einzeln zuzulöten!«

Seinem Schwur, niemals zu heiraten, blieb Kästner treu. Immerhin legte er sich aber später eine Lebensgefährtin zu, die er auch nicht verließ, als er mit 57 Jahren mit einer anderen einen Sohn zeugte. Seine Redakteursstelle verliert er 1927 wegen eines kritischen Gedichtes über Beethoven. Doch die Entlassung erweist sich als Glücksfall: Kästner geht nach Berlin, publiziert viel und gilt hier schnell als eine der wichtigsten intellektuellen Figuren. Dort schreibt er auch sein erfolgreichstes Buch »Emil und die Detektive«.

Vieles, was er in der damaligen Zeit der Weltwirtschaftskrise schrieb, ist heute brandaktuell: »Wieder ist es Euch gelungen, wir sind wieder auf dem Hund. Unser Geld hat ausgerungen – Ihr seid hoffentlich gesund.« Oder zur Massenarbeitslosigkeit der Jugendlichen: »Wir sind nicht existenzberechtigt und fragen Euch: Und was wird nun?«

Im Dritten Reich werden Kästners Bücher verbrannt, er selbst hat Publikationsverbot, bleibt aber in Deutschland. Nach dem 2. Weltkrieg zieht er nach München, widmet sich verstärkt dem Kabarett. Er kann aber, trotz regen Verkaufs seiner bisherigen Bücher, nicht an seine großen Erfolge anknüpfen. 1974 stirbt er alkoholkrank, verbittert und von den Menschen enttäuscht.

Fabian Wien spielt den Schriftsteller locker und natürlich, Madeleine Lierck-Wien wechselt mit der gleichen Unverkrampftheit die Rollen, verwandelt sich von der Mutter in eine Straßennutte, Sekretärin oder Krankenschwester. Auf Requisiten wird größtenteils verzichtet, Bügeltisch und Schreibmaschine reichen. Die Hauptrolle spielt sowieso der Nachlass von Erich Kästner – seine treffsicheren, ironischen bis sarkastischen Beobachtungen, Chansons, Gedichte und Epigramme, eingestreut in Wort und Gesang, machen den Abend zu dem, was er ist.

Freie Karten am 2.12. und 26.12., 20 Uhr; Kabarett Charly M., Karl-Marx-Allee 133

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