• Die große Krise

Die ganze Plusmacherei ist absolutes Gesetz

Warum Marx gelassen blieb und Lenin lachen musste

  • Thomas Kuczynski
  • Lesedauer: 5 Min.

Sind die raffgierigen Manager schuld? Ich verstehe ja die Wut: Da verzocken Bankmanager Milliarden an den Börsen und dann wollen sie als »Bonus« auch noch Millionen in die eigene Tasche stecken. Aber Wut ist zumeist ein schlechter Ratgeber, und blindwütiges Zuschlagen trifft oft die Falschen.

Nach zwei Blicken ins Leben ist ein Blick ins Buch angesagt. Das Buch – das ist bei diesem Thema natürlich das »Kapital« von Marx. Gleich im Vorwort zu dessen erster Auflage vermerkt er, dass er die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zwar »keineswegs in rosigem Licht« zeichne, aber: »Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozeß auffaßt, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.«

Das Gros der zockenden Manager hat sich in der Tat völlig systemkonform verhalten. Ihre erste Aufgabe in diesem System ist, dem Bundespräsidenten sei widersprochen, Profit zu machen, nicht irgendwelche Kunden zu bedienen; in Marx' Worten: »Produktion von Mehrwert oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Produktionsweise.« Dass die Bankmanager dabei nicht mit Bananen gehandelt haben, sondern mit faulen Krediten, tat solange nichts zur Sache, wie das Geschäft florierte. Nun ist es defloriert, die nie vorhandene Jungfräulichkeit dahin und der Jammer auf allen Seiten groß, die parlamentarische LINKE eingeschlossen. Die Frage, warum die Banken überhaupt mit solchen Krediten handeln konnten bzw. mussten, wird erst gar nicht gestellt.

Aber was steckt nun wirklich hinter den Immobilienkrediten in den USA, dem scheinbaren Ausgangspunkt der gegenwärtigen Krise? Nach Marx bleibt »der letzte Grund aller wirklichen Krisen ... immer die Armut der Massen einerseits«, andererseits »der Trieb der kapitalistischen Produktionsweise ..., die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihr limit (ihre Grenze) bildete«.

Marxens »einerseits« scheint reichlich antiquiert und nichts mit Immobilienkrediten zu tun zu haben. Die »Zeit« in ihrer jüngsten Ausgabe sah es anders: »Die Nachfrage nach Häusern stieg, und damit stiegen auch die Preise. Und weil die Preise so sehr stiegen, riefen die Immobilienmakler auf einmal Putzfrauen oder Erntehelfer an, die fünf Dollar in der Stunde verdienten. Sie erklärten ihnen: Wenn ihr ein Haus für 200 000 Dollar kauft und den Kredit nicht zurückzahlen könnt, dann macht das nichts. Die Preise steigen. In fünf Jahren wird das Haus 300 000 Dollar wert sein. Dann könnt ihr einen neuen Kredit auf das Haus aufnehmen und damit den alten abbezahlen. Es kann nichts schiefgehen. Also gingen die Erntehelfer und Putzfrauen zu den Banken. Und die Banken gaben ihnen Kredit. Sie wussten, wenn sie das geliehene Geld nicht zurückbekommen, macht das nichts. Denn dann würde das Haus ihnen gehören. Und in fünf Jahren würde es ja 300 000 Dollar wert sein. Es war ein Geschäft, bei dem es nur Gewinner gab. Solange die Preise stiegen. Und darum bauten die Baufirmen immer mehr Häuser, 1,2 Millionen im Jahr.«

Auch wenn »Armut der Massen« manchen ein zu starkes Wort sein mag und sie sich etwas »gewählter« ausdrücken möchten, klar ist, dass die zu geringe zahlungsfähige Nachfrage einerseits und die ihr gegenüber zu große Ausdehnung des Bausektors andererseits der letzte Grund für die Vergabe der Immobilienkredite gewesen ist. Ohne sie hätte es einerseits keinen Bauboom, keine Überhitzung der Baukonjunktur gegeben, andererseits wäre die fällige Überproduk-tionskrise früher ausgebrochen und vielleicht milder ausgefallen. Niemals wäre es dazu gekommen, dass Immobilien im ursprünglichen Verkaufswert von etwa einer Billion Dollar (!) »auf Halde liegen« (zum Vergleich: eine Billion Dollar, das ist das Anderthalbfache des gigantischen Bankenstützungsprogramms der US-Regierung).

Es kommt ein weiteres systemimmanentes Moment hinzu. Wenn die Banken nicht mit faulen Krediten gehandelt hätten, wären ihre Gewinne wesentlich geringer ausgefallen und demzufolge wären ihnen die Aktionäre weggelaufen, hin zu profitableren Unternehmen. So viel zur Entscheidungsfreiheit der Banker – auch sie sind Rädchen im großen Getriebe kapitalistischer Profitmacherei, wenn auch besser verdienend. Zur Verminderung ihrer Kreditrisiken nun schlug eine sich besonders klug dünkende Ökonomin, Blythe Masters, Harvard-Absolventin und frisch im Geschäft bei JP Morgan, ihren Bossen vor, Versicherungen gegen »faule Kredite« abzuschließen, sogenannte Credit Default Swaps. Die Idee sieht auf den ersten Blick sehr vernünftig aus, aber solche Kreditversicherungen sind natürlich noch weiter von der Realwirtschaft entfernt als die »faulen Kredite«, und deshalb kann mit ihnen noch besser und noch viel einträglicher spekuliert werden. Der Börsenwert solcher Kreditversicherungen bewegt sich nahezu unabhängig vom Börsenwert des versicherten Kredits, und ihr Volumen übersteigt daher das der Kredite um das Hundertfache. Bei den Boni der Banker geht es um ein paar Millionen Euro. Das ist in den Augen der meisten Menschen viel Geld, weshalb sie ja auch so empört sind. Es ist fast nichts im Vergleich zu den Milliardenprogrammen, die als Stützung für von Pleite bedrohte Firmen vorgesehen sind und leider weit weniger Empörung hervorrufen.

Es ist sehr einfach: Zur Zeit bekommt der arbeitslose ALG-II-Empfänger viertausend Euro im Jahr, der zockende Bankmanager vier Millionen, und die von Pleite bedrohte Bank vier Milliarden. Aber das ist eben noch nicht das Ende der Stufenleiter: Bei den Versicherungen gegen die faulen Kredite wird es um Billionen gehen, und damit verglichen sind die von den Regierungen bislang beschlossenen Programme ein Nichts. Sollte diese Kreditversicherungsblase platzen, so wäre den Zuständigen in den Zentralbanken und den Finanzministerien nicht nur eine Konsultation bei Marx zu empfehlen, sondern auch eine bei Lenin:

»Über Ihre Worte, daß die Staatsbank jetzt ein ›mächtiger Apparat‹ ist ..., habe ich lachen müssen. Im Vertrauen: das ist der Gipfel der Kinderei ... Die Staatsbank ist jetzt = Spiel im bürokratischen Umschreiben von Papieren ...«, schrieb er im Februar 1922 dem Vorsitzenden der sowjetischen Staatsbank. Und sofern sich das nicht durch solide Arbeit ändere, bliebe es auch dabei, »die ganze Staatsbank und ihre gesamte Arbeit = Null, schlimmer noch als Null, Selbstbetrug, Spiel mit einer neuen bürokratischen Kinderklapper ... Ich bitte, mir die Offenheit nicht übelzunehmen.«

Thomas Kuczynski, geb. 1944 in London, Ökonom und Statistiker, wirkte 2007 am Theaterprojekt »Karl Marx: Das Kapital« mit.

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