Bruch der deutsch-französischen Achse

In der Wirtschaftskrise verfolgen die EU-Mitgliedstaaten ihre eigenen Nationalinteressen

  • Andreas Wehr
  • Lesedauer: 4 Min.
Paris und Berlin sind sich einig, dass sie nicht einig sind. Der EU-Motor stottert.

Die Krise bringt es an den Tag: Von einer Achse zwischen Berlin und Paris kann keine Rede mehr sein. Auf dem deutsch-französischen Gipfel am 24. November 2008 waren sich Merkel und Sarkozy nur noch darüber einig, dass man sich nicht einig ist, was jetzt zu tun sei. Treffend titelte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) einen Tag danach: »Sarkozy: Wir handeln – Merkel: Wir warten ab.« Ihr Streit lähmt die EU. In der gegenwärtigen Not ist sich jeder ihrer Mitgliedstaaten selbst der Nächste. Die damit einhergehende Bedeutungslosigkeit der EU ist eine Lehrstunde für alle jene, die glaubten, die Nationalstaaten hätten längst zugunsten eines sich vereinigenden Europas abgedankt.

Das Klima zwischen Berlin und Paris ist spätestens seit dem Auftritt Nicolas Sarkozys vor dem Europäischen Parlament am 21. Oktober 2008 frostig. Dort hatte der französische Regierungschef eine europäisch abgestimmte Wirtschaftspolitik gefordert: »Für die Finanzkrise haben wir einen Instrumentenkasten vorgeschlagen, einen Fahrplan, eine Harmonisierung, eine Koordinierung. Ich denke, dass wir für die Wirtschaftspolitik dasselbe brauchen. (…) Ich verlange, dass sich jeder von uns darüber Gedanken macht, ob es nicht nützlich sein könnte, wenn auch wir in jedem unserer Länder Staatsfonds schaffen und wir diese nationalen Staatsfonds ab und zu koordinieren, um eine industrielle Antwort auf die Krise zu liefern.«

Sarkozy ging noch einen Schritt weiter. Er stellte die in Deutschland als unantastbar geltende Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frage: »Es ist nicht möglich, dass der Euroraum ohne eine klar definierte Wirtschaftsregierung weitermacht. Man kann so nicht weitermachen. Ich will die EZB würdigen, ich will meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass die EZB unabhängig sein muss; aber damit die EZB umfassend handeln kann, muss sie mit einer Wirtschaftsregierung sprechen können.«

Von all dem hält die Bundesregierung nichts. Dort ist man davon überzeugt, eine europäische Wirtschaftsregierung nicht nötig zu haben. Die deutschen Unternehmen fühlen sich stark genug, auch die jetzige Krise zu bewältigen, schließlich werde man nicht zufällig Jahr für Jahr »Exportweltmeister«. Und so antwortete denn der Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, am 23. Oktober 2008 auf Sarkozy: Die deutschen Unternehmen seien trotz der Krise »in einer robusten Verfassung und international wettbewerbsfähig«. Weitergehende Schutzmaßnahmen, wie sie Sarkozy für Frankreich ankündigte, halte die Bundesregierung nicht für erforderlich.

Es ist ein alter Streit, der mit der Finanzmarktkrise erneut aufgebrochen ist. Es war Frankreich, das in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder neue Vorstöße für europäische Regelungen mit dem Ziel unternahm, die wirtschaftliche Stärke des Nachbarlands zu bändigen und in einen europäischen Rahmen einzupassen. Doch jedes Mal gelang es den deutschen Bundesregierungen, diese Versuche abzuwehren.

Dies galt etwa für die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Mit ihr sollten Ende der 80er Jahre die Vorherrschaft der Bundesbank in der europäischen Geld- und Währungspolitik beendet und die D-Mark als europäische Leitwährung abgelöst werden. Doch die Bändigung misslang. Die Bundesregierung konnte durchsetzen, dass die Europäische Zentralbank dem Modell der Bundesbank angeglichen wurde. Auf diese Weise wurde der EZB völlige Unabhängigkeit zugesichert und die Wahrung der Preisstabilität zu ihrer zentralen Aufgabe erklärt. Hinzu kam der von Bundesfinanzminister Theo Waigel durchgesetzte Stabilitätspakt, der den Euroländern ein eisernes Korsett der Haushaltsdisziplin auferlegt. Die vertraglich festgelegte Wirtschafts- und Währungspolitik der EU entspricht so in idealer Weise den Interessen der deutschen Unternehmen, deren hohe Konkurrenzfähigkeit es ihnen erlaubt, mit einer starken Währung gut leben zu können.

Auch in der aktuellen Frage, wie der Krise zu begegnen ist, konnte sich Berlin durchsetzen. In einem gemeinsamen Artikel in der »FAZ« vom 26. November 2008 schrieben Merkel und Sarkozy: »Wir sind nicht der Ansicht, dass auf 27 Länder, deren wirtschafts- und haushaltspolitische Lage sich unterscheidet, die gleichen Maßnahmen anwendbar sind. (...) Es liegt in der Verantwortung der jeweiligen europäischen Regierungen, selbst eigene Konzepte zu erarbeiten.« Von Wirtschaftsregierung also keine Spur.

Nur bei der Handhabung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist Berlin zu einem kleinen Zugeständnis bereit, sollte er gebrochen werden: »Manche werden auch den Grenzwert von drei Prozent für das Haushaltsdefizit überschreiten, was sich unter den gegebenen Umständen jedoch nicht vermeiden lässt.« Damit ist der Deal perfekt: Frankreich verzichtet auf die Forderung nach einer Wirtschaftsregierung und Deutschland drückt bei Verletzungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch sein Nachbarland beide Augen zu. So ist Europa.

Andreas Wehr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der linken Fraktion des Europäischen Parlaments.

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