Die Todesstrafe ist weltweit auf dem Rückzug

UN-Generalversammlung sprach sich wiederholt für Moratorium von Hinrichtungen aus

  • Patrick Widera
  • Lesedauer: 3 Min.
Im November 2008 wurde in den dritten Ausschuss der UN-Generalversammlung eine Resolution eingebracht, in der die Weltgemeinschaft aufgefordert wird, mit einem weltweiten Moratorium auf die Anwendung der Todesstrafe in zu verzichten.

Am 28. Dezember 2007 wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen erstmals eine Resolution verabschiedet, die zu einem allgemeinen und weltweiten Hinrichtungsstopp aufruft. Diese nicht verbindliche Resolution wurde von 87 Regierungen und zahlreichen Nichtregierungsorganisationen eingebracht, darunter die Weltkoalition gegen die Todesstrafe, die Gemeinschaft Sant'Egidio, Hands Off Cain und Amnesty International. 104 UN-Mitglieder stimmten für den Antrag, 54 dagegen und 29 enthielten sich. Auch wenn kein internationaler Konsens über die Abschaffung der Todesstrafe besteht, ist die Annahme der Resolution ein deutliches Zeichen dafür, dass eine große Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen aus allen Weltregionen ein Moratorium für die Anwendung der Todesstrafe befürwortet.

Die Entwicklung hin zur Abschaffung der Todesstrafe ist ein Phänomen der jüngeren Zeit. 1899, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, gab es die Todesstrafe in gerade einmal drei Staaten nicht mehr. Bis zum Jahr 1948, in dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, war die Zahl der Länder ohne Todes-strafe auf bescheidene acht angewachsen. Seit den 90er Jahren hingegen haben über 50 Staaten die Todesstrafe aus ihren Gesetzbüchern gestrichen.

Im Jahr 2008 hat sich der weltweite Trend in Richtung einer vollständigen Abschaffung der Todes-strafe weiter fortgesetzt. Als bislang letzter Staat hat Argentinien am 6. August 2008 die Todesstrafe aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Damit vergrößerte sich die Zahl der Länder, die die Todesstrafe inzwischen per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft haben, auf 136, was mehr als zwei Drittel der Staaten der Welt sind. Dennoch lebt nur etwa ein Drittel der Weltbevölkerung in Staaten, die nicht hinrichten.

Im Jahr 2008 hatten 91 Staaten die Todesstrafe vollständig abgeschafft. Neun weitere Staaten behielten sich das Recht vor, die Todesstrafe beizubehalten, aber nur noch bei außergewöhnlichen Straftaten anzuwenden, z. B. bei Verbrechen nach Militärgesetzen oder für Delikte, die unter außergewöhnlichen Umständen, wie in Kriegszeiten, begangen werden.

In 36 Staaten ist die Todesstrafe zwar in der Praxis, aber nicht nach dem Gesetz abgeschafft, wobei dort seit mindestens zehn Jahren keine Hinrichtungen mehr durchgeführt wurden oder die Staaten sich international per Moratorium dazu verpflichtet haben, keine Todesurteile mehr zu vollstrecken. Trotzdem werden in einigen dieser Staaten weiterhin Todesurteile ausgesprochen.

In den Strafgesetzbüchern von 58 Staaten ist die Verhängung und Anwendung der Todesstrafe weiterhin legal vorgesehen. Im Jahr 2007 wurden in 40 Staaten mehr als 3000 Todesurteile verhängt, sowie in 24 Staaten mindestens 1252 Todesurteile auch vollstreckt. Nach Berichten von Amnesty International wurden in nur fünf Staaten 88 Prozent der weltweit offiziell registrierten Exekutionen durchgeführt. 38 Prozent davon in der Volksrepublik China, gefolgt von Iran (25 Prozent), Saudi-Arabien, Pakistan (jeweils elf Prozent) und den USA (drei Prozent).

Auch wenn China mit 470 offiziellen Exekutionen die Liste der Länder, die an der Todesstrafe festhalten, unangefochten anführt, ergibt sich ein ganz anderes Bild, wenn man zu den legalen Hinrichtungen auch die Zahl der extralegalen, der »außergerichtlichen« Hinrichtungen hinzunimmt.

Extralegale Hinrichtungen werden nach Einschätzung von Menschenrechtlern begangen, wenn etwa in Kolumbien paramilitärische Gruppen Gewerkschafter ermorden, in Afghanistan oder in Irak unschuldige Menschen durch Bombenangriffe der Besatzungstruppen sterben oder – wie jüngst in Griechenland und im Gazastreifen geschehen – wenn Demonstranten sterben, weil Polizei oder Soldaten in die Menge schießen. Außergesetzliche Hinrichtungen gehen oft auch Hand in Hand mit der Anwendung von Folter und dem »Verschwindenlassen« von Menschen. In den meisten Fällen außergesetzlicher Exekutionen bleiben die Täter straffrei.

Das »Recht auf Leben« ist im Artikel 6 des »Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte« (IPBPR) der Vereinten Nationen festgeschrieben. Dort heißt es unmissverständlich: »Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden.« Das gilt auch und gerade in Zeiten des öffentlichen Notstands oder im Krieg.

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