»Wir sind von Haus aus Anarchisten«

»In Extremo« verpackt jahrhundertealtes Liedgut in kraftvollen Rock

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Band »In Extremo« hat sich aus der Parallelwelt der Mittelaltermärkte an die Spitze der Charts gespielt. Viele Mitglieder der siebenköpfigen Formation sind in DDR-Underground- und Anarcho-Bands wie »Freygang« und »Noah« oder bei Ost-Wavern wie »Die Vision« groß geworden. Anlässlich der gerade laufenden Deutschlandtournee spricht ND-Autor RENÉ GRALLA mit dem Leadsänger und gebürtigen Berliner MICHAEL ROBERT RHEIN.
»Wir sind von Haus aus Anarchisten«

ND: Ihr Künstlername ist »Das Letzte Einhorn«. Gibt es dafür einen besonderen Grund?
RHEIN: Das war das Logo auf einem T-Shirt, das ich früher auf Mittelaltermärkten verkauft habe.

Sie kombinieren überlieferte Weisen und Texte mit Rock. Wie erklären Sie sich die zunehmende Popularität dieser Art von Musik?
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Wir machen das ganz einfach seit über zehn Jahren. Vielleicht will das Publikum dem Alltag entfliehen. Gleichzeitig möchte ich aber auch betonen: Wir schlafen nicht auf dem Feld. Wir sind eine moderne Rockband, die ihre klassischen Instrumente E-Gitarre, Bass und Schlagzeug um Dudelsack oder Harfe erweitert.

Auffällig ist, wie viele Mittelaltermärkte alljährlich stattfinden. Ist das vielleicht eine Flucht aus einer Gegenwart, die zunehmend als bedrückend empfunden wird?
Vielleicht.

Obwohl das Mittelalter sprichwörtlich ziemlich finster war.
Ja, klar. Ich persönlich möchte damals nicht gelebt haben. Mich interessiert allein die Musik aus jener Epoche, außerdem bin ich ein Fan des französischen Balladendichters François Villon aus dem 15. Jahrhundert. Natürlich habe ich meine Wurzeln in der Mittelalterszene, Gaukelei und Feuerschlucken gehörten zu meinem Repertoire, das will ich nicht verleugnen. Aber seitdem hat sich die Band weiterentwickelt, wir sind moderne Spielleute.

Als Spielleute haben Sie eine stolze Vergangenheit. Vaganten und fahrenden Musikanten kam eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung von Bauernaufständen zu.
Der Spielmann war immer revolutionär. Er scherte sich nicht um die herrschenden Autoritäten, und in seinen Liedern rebellierte er gegen die überlieferte Ordnung. Gleichzeitig waren Spielleute diejenigen, die geheime Nachrichten übermittelt haben.

Ihr neues Album »Saengerkrieg« ist ziemlich rockig. Mittelalterliches lässt sich kaum noch heraushören.
Wir tun eben, was uns Spaß macht, und entwickeln uns ständig weiter.

Zu Ihren Einflüssen zählen neben den Beatles und Ton Steine Scherben sogar die Red Hot Chili Peppers. Sehr überraschend.
Wieso? Mit den Red Hot Chili Peppers sind wir durch Mexiko getourt.

Außerdem soll Sie auch noch Krautrock-Opa Lindenberg geprägt haben.
Udo Lindenberg hat mich überhaupt erst zum Rock gebracht. Als ich ein kleiner Bengel von elf Jahren war, habe ich vor der Kaufhalle Lindenberg-Texte gesungen und auf diese Weise meine erste Cola verdient.

Warum heißt das aktuelle »In Extremo«-Album eigentlich »Saen-gerkrieg«?
Das bezieht sich auf den legendären Sängerkrieg im 13. Jahrhundert auf der Wartburg. Und die Vision von einem Fürsten, der es nicht ausschließlich auf Krieg abgesehen hatte, sondern stattdessen sein Geld dafür ausgab, aus ganz Europa die Minnesänger auf die Wartburg zu karren.

»Frei zu sein«, formulieren Sie beinahe programmatisch auf »Saengerkrieg«. Mit den Zeilen »Schamlos nimmt der dreiste Dieb, denn er ist seines Glückes Schmied« ...
... wir sind nun mal von Haus aus Anarchisten.

Tourdaten und Informationen zur Band: www.inextremo.de

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