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Reise ins Innere der Angst

Chorpremiere in der Komischen Oper Berlin

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Zum bewegenden Erlebnis wurde dieser Premierenabend im Haus an der Berliner Behrenstraße: »Angst«, eine Choroper von Christian Jost, fesselte als ungewöhnliches Ereignis auf der Musikbühne. Da gibt es keine Einzeldarsteller, alleiniger Prota-gonist sind die Chorsänger mit ihren eigenen Solisten, ergänzt durch ein kleines Instrumentalensemble.

Es war der exzellente Rundfunkchor Berlin, der die anspruchsvollen Vokalparts mit überragender Gesangskultur unter Leitung von Simon Halsey darbot und damit sein bereits 2006 uraufgeführtes Auftragswerk zu neuer Wirkung brachte: nämlich in gelungener szenischer Einrichtung.

Eigentlich möchte man das Werk eher oratorisch nennen, aber es bildet (in Kooperation mit dem Opernhaus) eine interessante Station auf dem Weg des Chorensembles zu einer neuen Qualität jenseits des üblichen Konzertpodiums. Christian Jost (geb. 1964) hat seine Komposition mit dem Untertitel »5 Pforten einer Reise in das Innere der Angst« bezeichnet und so ihre strukturelle Besonderheit benannt. Angstzustände werden als grundlegende menschliche Erfahrung verallgemeinert. Dennoch wählte er einen konkreten Ausgangspunkt nach dem Erlebnisbericht des Bergsteigers Joe Simpson vom Unglück zweier Alpinisten in den peruanischen Anden, die – an ein Seil gekettet – abstürzen. Einer von ihnen kappt, selbst in Lebensgefahr, dieses Seil, so dass der andere in eine Gletscherspalte fällt, aus der er sich verletzt nur qualvoll retten kann.

Es geht Jost nicht um die dramatische Erzählung dieses Vorgangs, obwohl die Alpinisten in dem von ihm verfassten Libretto hintergründig anwesend sind. Das Unglück gilt ihm als Metapher für Angst allgemein. Darum bieten die »5 Pforten« (»Fallen«, »Hölderlin«, »Kalt«, »Amok«, »Ab«) dem Publikum Möglichkeiten zur Assoziation heute aktueller Ängste durch Gewalt und Krieg. Und daher fühlt man sich einbezogen, empfindet das Werk ungemein spannend und ansprechend. Zumal es in seiner atonalen Klangsprache und brillanten Schönheit berührt: dominierend helle Sopranstimmen, vielfach geteilte Stimmeffekte, zarte Soli und großes Chorcrescendo, der dramatische Beginn mit differenziert genutzten Farben und Gesten der zehn Instrumente (Mitglieder des Orchesters der Komischen Oper), das feine Altsolo zum Abschluss. Es liegt zumeist ein eher nachdenkliches Flair über dieser Vokalkunst, die der Chor mit faszinierender Intonationssicherheit bot.

Bezaubernd das Zitat der Verse Hölderlins »An die Parzen« in leiser A-cappella-Lyrik von sechs Frauenstimmen. Es ist neben vibrierendem Stimmgewirr vor allem jenes Intime dieser Musik, das sich dank ihrer Expressivität einprägt. Genau das haben Inszenierung und Bühne adäquat umgesetzt. Ursprünglicher Konzertgesang wurde einfühlsam theatralisiert. Regisseurin Jasmina Hadziahmelovic hat, als gebürtige Bosnierin ihre Kriegserfahrungen einbringend, die Szene sehr musiknah gestaltet: fantasievolle Bewegungsarrangements ohne Requisiten sind bestimmend. Nur ein gazebespannter, sich senkender und hebender Kubus ist Zeichen gemeinsamen Eingeschlossenseins.

Eine schwarze Bühne mit dem sichtbaren grauen Mauerhintergrund gibt Atmosphäre. Mehr noch die dramaturgisch hinreißende, wechselnde Lichtregie, beides von Franck Evin gestaltet. Dazu fügen sich einheitlich schwarze Kostüme von Katrin Kath. So entstand ein Chortheater besonderer Qualität und Wirkung , als Psychogramm bedrohlicher Zustände, das – Klage, Anklage, Erschütterung – emotionale Bedrännisse in unserer Gegenwart bewusst werden lässt. Zustimmender, großer Beifall.

Nächste Vorstellung am 18. Januar, 19 Uhr.

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