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Stammheim: Letzter Akt vor dem Abriss

Noch einmal wird in Stuttgart über die »Revolutionären Zellen« Gericht gehalten

  • Stephan Stracke
  • Lesedauer: 2 Min.
Seit knapp einer Woche läuft in Stuttgart-Stammheim der voraussichtlich letzte Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der »Revolutionären Zellen«.

Angeklagt ist der 60-jährige Thomas K, der sich 2006 nach Jahren der Flucht den deutschen Behörden gestellt hatte. Ihm wird vorgeworfen, als »dominierende Persönlichkeit«, so die Umschreibung der Rädelsführerschaft, von 1976 bis 1994 der »linksterroristischen RZ« angehört zu haben und maßgeblich an militanten Aktionen beteiligt gewesen zu sein. Darunter auch Knieschussattentate auf Asylrichter und Polizisten. Die Aktionen in den Jahren 1986-1987 waren Teil einer militanten Kampagne gegen die Flüchtlings- und Ausländerpolitik der BRD.

Die Bundesanwaltschaft legt dem Angeklagten zur Last, sich für sogenannte Knieschußattentate auf Führungspersönlichkeiten in Justiz und Verwaltung eingesetzt und an der Erstellung der jeweiligen Bekennerschreiben mitgewirkt zu haben. Konkrete Taten sind aber nicht Gegenstand der Anklage, weil sie bereits verjährt sind.

Der Prozess begann unter starken Sicherheitsvorkehrungen in dem berühmt-berüchtigten Allzweckbau in Stammheim, der seinerzeit eigens für den ersten RAF-Prozess gebaut wurde. Zum Prozessauftakt verweigerte der Angeklagte jede Aussage. Seine Verteidigerin Edith Lunnebach wies darauf hin, dass sich die Anklage allein auf Aussagen eines Kronzeugen stütze. Der Kronzeuge Tarek Mousli, ehemaliger Hausbesetzer und Karatelehrer, hatte 1999 nach seiner Verhaftung im Tausch für die eigene Straffreiheit etliche Mitkämpfer verraten und zahlreicher Straftaten bezichtigt.

Den »Revolutionären Zellen«, die in kleinen dezentralen Gruppen organisiert waren, werden über 200 militante Aktionen zur Last gelegt. Seit 1973 richteten sie ihre Aktionen vor allem gegen multinationale Konzerne und Militäreinrichtungen, unterstützten Befreiungsbewegungen, Arbeitskämpfe und soziale Bewegungen. Anders als die RAF, agierten die RZler nicht aus dem Untergrund, sondern lebten legal, um neben ihrer militanten Politik weiterhin an Diskussionsprozessen innerhalb der Linken und der Gesellschaft teilnehmen zu können.

Ende der 70er Jahre waren einzelne RZ-Mitglieder auch an Aktionen wie dem Überfall auf die OPEC 1975 in Wien und an der Flugzeugentführung in Entebbe 1976 beteiligt und gerieten ins Fahrwasser von Geheimdiensten und internationalen Terrorgruppen. Die Beteiligung an der Flugzeugentführung führte zu einer Spaltung der Gruppe, die aber erst nach der Ermordung eines RZ-Gruppenmitglieds durch palästinensische Kämpfer bekannt wurde.

Am 5. Februar wird der Kronzeuge Tarek Mousli als Zeuge mit Perücke vor Gericht erscheinen, um die Geschichte der militanten Linken endgültig abzuwickeln. Mousli hatte als Lohn für seinen Aussagen u.a. eine neue Identität bekommen. Das dürfte zu spät sein. Mousli ist seit kurzem zu einer Romanfigur in Michael Wildenhains neuem Roman »Träumer des Absoluten« geworden.

Eine nachhaltigere Form der »Geschichtsauslöschung« betreibt hingegen die Justiz. Nach dem Prozess gegen Thomas K. soll das geschichtsträchtige Mehrzweckgebäude in Stammheim endgültig abgerissen werden.

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