»Das Kleinreden hat mich politisiert«

Grünen-Landeschefin Ska Keller über die tödliche Hetzjagd von Guben vor zehn Jahren

  • Lesedauer: 3 Min.

ND: Am 13. Februar 1999 starb der algerische Asylbewerber Farid Guendoul alias Omar Ben Noui. Rechtsextremisten hatten ihn durch Guben gehetzt. Das Opfer wollte sich in einen Hauseingang retten, sprang durch die Glasscheibe der Tür, verletzte sich und verblutete. Sie waren 17 Jahre alt. Können Sie sich erinnern, was sie an diesem Tag gemacht haben?
Ska Keller: Das weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich bin ich zur Schule gegangen. Ich weiß aber noch genau: Der Tod von Omar Ben Noui und vor allem, wie in der Stadt damit umgegangen wurde, hat mich sehr stark politisiert. Drei Jahre später bin ich bei den Grünen eingetreten, jetzt kandidiere ich auf dem aussichtsreichen Listenlatz sieben für das Europaparlament.

Was störte Sie an der Reaktion?
Das Kleinreden der Tat, die Behauptungen, es handele sich bloß um einen Einzelfall, dass anfängliche Leugnen eines rassistischen Hintergrunds und Aussagen wie »was hatte der eigentlich nachts auf der Straße zu suchen« und »vielleicht hat er provoziert«. Es ärgerte mich auch das unselige Gezerre um den Platz für den Gedenkstein, den unser Internationaler Jugendverein Guben/Gubin gefordert hatte. Als der Stein endlich in der Nähe des inzwischen abgerissenen Hauses platziert war, gab es mehrfach Beschädigungen.

Ist es heute besser?
Leider nein. Wie viele Übergriffe mit rassistischem Hintergrund sich ereignen, ist jedoch nicht genau bekannt. Es gibt niemanden mehr in Guben, der darauf achten könnte. Eine Initiative, die Opfer beriet und Vorfälle registrierte, schlief Anfang vergangenen Jahres ein. Die bis dahin erstellten Listen waren allerdings sehr lang. Es verging keine Woche, ohne dass mindestens eine ausländerfeindliche Beschimpfung ausgestoßen wurde. Zudem trat der zur längsten Gefängnisstrafe verurteilte Täter bei der Kommunalwahl 2008 als NPD-Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung an. Er schaffte den Sprung ins Parlament zwar nicht, aber die rechtsextremistische NPD erhielt 4,3 Prozent und damit einen Sitz.

Was müsste Ihrer Ansicht nach getan werden?
Zunächst müssten die Verantwortlichen erst einmal das Problem erkennen und den Rechtsextremismus nicht allein als Phänomen der Jugend sehen, dass sich mit mehr Sozialarbeitern und härteren Strafen lösen ließe. Rechtsextreme und rassistische Einstellungen kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Wobei Guben zum Tatzeitpunkt die höchste Sozialarbeiterdichte in Deutschland hatte und dort heute weniger Sozialarbeiter beschäftigt sind. Außerdem gibt es mittlerweile in Guben keinen alternativen Jugendklub mehr. Die für Demokratie und Toleranz so wichtige subkulturelle Vielfalt dürfte aber nicht fehlen, nur weil ein Klub zu laut und zu dreckig sein könnte und weil er Geld kostet. Der Verzicht auf Vielfalt leistet braunem Gedankengut Vorschub. Die Neonazis treffen sich in Eckkneipen. Ausländer gehören nicht zum Straßenbild. Natürlich kommen Polen über die Grenze, aber die sind ja nicht auf den ersten Blick als Ausländer zu erkennen. Ansonsten leben einige wenige Vietnamesen in Guben.

Schadete die tödliche Hetzjagd dem Ruf Gubens dauerhaft?
Daran erinnern sich oft nur die Menschen, die sich mit dem Problem des Rechtsextremismus beschäftigen. Doch die meisten Bundesdeutschen wissen gar nicht, wo Guben liegt. Sie wissen ja meist nicht einmal, dass es diese Stadt gibt.

Fragen: Andreas Fritsche

Ska Keller stammt aus Guben und studiert Islamwissenschaft in Berlin.

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