Aufstand der Armen auf Frankreichs Karibikinseln

Gutsbesitzerkaste sichert sich Superprofite

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Gut drei Wochen nach Beginn eines Generalstreiks auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe und Martinique spitzt sich die Lage dort weiter zu. Das wirtschaftliche Leben auf den Inseln ist nahezu erstorben.

Der Protest der Karibik-Bewohner richtet sich gegen die extrem hohen Preise und Lebenshaltungskosten auf den Inseln, deren Bevölkerung zu mehr als 50 Prozent unter der offiziellen Armutsgrenze lebt. Der Staatssekretär für die Übersee-Departements und -Territorien, Yves Yégo, der nach mehrtägigen Gesprächen an Ort und Stelle nach Paris geeilt war, um sich vom Premierminister grünes Licht für die ausgehandelten Kompromissvorschläge zu holen, ist inzwischen auf die Inseln zurückgekehrt. Doch was er zu bieten hatte, enttäuschte seine Verhandlungspartner. Zwar sind von deren Forderungsliste, die 130 Punkte lang ist, fast alle zufriedenstellend beschieden worden, doch auf die Hauptforderung ist die Regierung nicht eingegangen.

Zu den Zugeständnissen zählen die Aufstockung der Sozialhilfesätze und die Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel und Benzin sowie der Mieten für Sozialwohnungen. Dazu gehören auch eine Preissenkung um 20 Prozent für 100 Artikel des täglichen Grundbedarfs und eine Senkung des Benzinpreises um 6 Cent pro Liter. Unnachgiebig blieb die Regierung jedoch gegenüber der Forderung nach einer pauschalen Erhöhung der Löhne für die Bezieher der niedrigsten Einkommen um 200 Euro. Betreffen würde dies 80 000 Beschäftigte. Das sei nicht Sache des Staates, sondern könne nur durch die Sozialpartner ausgehandelt werden, entschied der Regierungschef im fernen Paris.

Doch das geht an den Realitäten vorbei, denn auf Guadeloupe und Martinique ist nichts so wie auf dem französischen Festland. Hier sind alle wirtschaftlichen und sozialen Probleme hochgradig politisch, und die Republik ist dringend gefordert, ein Mindestmaß an Recht, Ordnung und Chancengleichheit zu sichern. Hier stehen sich nicht Gewerkschaften und Unternehmerverbände gegenüber, sondern auf der einen Seite Bürgervereinigungen wie das einflussreiche »Kollektiv gegen Ausbeutung« und mehr oder weniger virulente Gruppierungen für Selbstbestimmung oder Unabhängigkeit, auf der anderen Seite die kleine Kaste der »Béké« – weiße Plantagenbesitzer und Unternehmer, die es als Nachfahren von Sklavenhaltern gewohnt sind, ungeachtet der bestehenden demokratischen Institutionen faktisch selbstherrlich über die Inseln und ihre Bewohner zu herrschen.

Die einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf Luxustourismus und auf Monokulturen wie Bananen für den Export und Zuckerrohr für die Rumproduktion verhindern, dass sich eine diversifizierte Wirtschaft entwickelt. Eine Handvoll Familien, in deren Besitz sich fast alle Importfirmen, Supermärkte und Tankstellen befinden, nutzen dieses Monopol, um die Preise in die Höhe zu treiben und horrende Gewinne zu kassieren. Ihr Einfluss reicht bis weit in alle öffentlichen Bereiche, so dass beispielsweise bei der Schulspeisung Äpfel, Birnen und Kiwi verwendet werden, die teuer aus Neuseeland importiert werden, statt der billigen Ananas, Bananen, Mango und Wassermelonen, die auf den Inseln wachsen, an denen sich aber nicht so viel verdienen lässt.

Da naturgemäß viele Waren und Rohstoffe importiert werden müssen und dadurch das allgemeine Preisniveau höher ist als auf dem Kontinent, gewährt die Pariser Regierung den Inseln seit Jahrzehnten Steuervorteile, Nachlässe bei den Sozialabgaben und öffentliche Beihilfen. »Doch davon kommt fast nichts bei der Masse der Einwohner an, sondern landet zumeist in den Taschen der Béké«, urteilt Gby Clavier vom »Kollektiv gegen Ausbeutung«, in dem über Bürgervereinigungen vertreten sind.

Trotz der staatlichen Zuwendungen in Millionenhöhe für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen liegt die Arbeitslosenrate offiziell bei 24 Prozent, während Felix Flemin, Generalsekretär der KP Guadeloupes, sie auf tatsächlich 40 Prozent schätzt. Hinzu kommt der Rassismus der Béké, dem sich die Bevölkerungsmehrheit immer noch ausgesetzt sieht. Wie ins Feuer gegossenes Öl wirkten da Äußerungen von Alain Huygues-Despointes, einem der reichsten Unternehmer und Plantagenbesitzer von Guadeloupe, die durch eine Fernsehreportage bekannt wurden. Als eine Erklärung für die Unruhen auf den Karibikinseln nannte er die »Rassenmischung zwischen Schwarzen und Weißen«. Demgegenüber sei das Credo seiner Familie und ihrer Freunde, »die weiße Rasse rein zu halten«. Gleichzeitig beklagte er, dass »heute die Historiker an der Sklaverei nur Negatives finden«.

»Hier herrscht soziale Apartheid«, klagte Christiane Taubira, Abgeordnete von Guyana, in einem Interview. Präsident Nicolas Sarkozy müsse endlich Stellung beziehen. »Unsere Proteste werden sich ausweiten«, kündigte Elie Domota, der Vorsitzende des »Kollektivs gegen Ausdeutung«, an.

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