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Das eigene Süppchen

Der Kabarettist Jochen Malmsheimer wird mit dem Deutschen Kleinkunstpreis geehrt

  • Lutz Debus
  • Lesedauer: 8 Min.
Der letzte Cowboy aus Bochum?
Der letzte Cowboy aus Bochum?

Oberflächlich betrachtet könnte der Zuschauer zu dem Schluss kommen, dass der Mann auf der Bühne der letzte Cowboy aus Bochum ist. Jochen Malmsheimer trägt oft entsprechendes Schuhwerk. Auch sein Krawattenersatz, ein an einem Lederriemchen befestigtes indianisch anmutendes Amulett, über dessen Herkunft er sich ausschweigt, verleiht ihm die Aura eines Revolverhelden. Tatsächlich aber hat der 47-Jährige, der am 1. März den renommierten Deutschen Kleinkunstpreis erhalten wird, nichts mit Westernromantik zu tun. Die einzige mögliche geistige Nähe zu Lucky Luke und Konsorten kann in einem Satz abgehandelt werden. Der Mann schießt zwar nicht, aber er spricht schneller als sein Schatten.

Hanns Dieter Hüsch kommt einem sofort in den Sinn, wenn Malmsheimer vor seinem Publikum Wortgebilde auftürmt, um sie in Kaskaden von Pointen niederregnen zu lassen. Manch Anwesender muss sich vor Lachen den Bauch halten, wenn berichtet wird, welche Gepäckstücke für einen Griechenlandurlaub in einen Mittelklassewagen verstaut werden müssen. »Pelzstiefel im Juli!«, ruft der leidende Familienvater in die Menge. Dabei bedient Malmsheimer nicht die alten Vorurteile, die sich im Jahrtausende währenden Krieg der Geschlechter angesammelt haben. Er stattet seinen Vortrag immer auch mit einem gehörigen Schuss Selbstironie aus. So unterscheidet er sich von den handelsüblichen Comedians, die mit zotigem Herrenwitz inzwischen Arenen und Olympiastadien füllen. »Mein Platz ist die Nische«, sagt Malmsheimer. Er sei froh, dass es Mario Barth und andere solche Kollegen gebe, dann müsse er nicht in den großen Hallen auftreten. Sein aktueller Tourneeplan ist gespickt mit edlen Adressen: das Ebertbad in Oberhausen, die Springmaus in Bonn, das Unterhaus in Mainz, die Lach- und Schießgesellschaft in München. Auch in den dritten öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen ist Jochen Malmsheimer oft zu Gast.

Gibt es sonst noch Unterschiede zur komödiantischen Massenware? Manch erfolgreicher Witzemacher hält sich an folgender Definition: Ein Comedian macht es wegen dem Geld, ein Kabarettist wegen des Geldes. Tatsächlich ist es sinnvoll, bei einem Abend mit Malmsheimer mit Sprachkenntnis, auch mit einer gewissen Fremdwortkenntnis ausgestattet zu sein. Wenn der Humorist mit seinem eher gespannten Verhältnis zur Katholischen Kirche an die Hexenverfolgung im Mittelalter erinnert, dann so: »Die Kirche hat in ihrer Vergangenheit so manchen Mathematiker in der Öffentlichkeit bis zur Letalität erhitzt.« Naturwissenschaftlicher kann man Inquisition und Scheiterhaufen nicht beschreiben. Hier unterscheidet sich Malmsheimer auch von seinem Vorbild Hüsch, der ständiger Gast der Kirchentage war. Der jüngere Satiriker wäre dort nicht gut aufgehoben. Dafür ist er viel zu böse.

In seinem privaten Umfeld hingegen, abseits der Bühne, kann der Wahlbochumer durchaus freundlich sein. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen, neun und zwölf Jahre alt, bewohnt er ein liebevoll restauriertes Bauernhaus direkt an den Betonstelzen der Schnellstrasse zwischen Uni und City. Aber auch bei Kaffee und Plätzchen spricht er rasend schnell und druckreif. Anders als viele Kollegen in der Region, die den Baumarktleiter, Porschefahrer oder Rentner geben, kultiviert der in Essen Geborene und in Bochum Aufgewachsene nicht seine Herkunft. Natürlich beobachtet er das Ruhrgebiet und seine, wie er oft sagt, »Insassen«. Aber das, was er dann beschreibt, trifft – so oder ähnlich – auf die ganze Republik zu. In dem Vortrag »Das bürgerliche Wohnzimmer« berichtet Malmsheimer von einer Zigarrenguillotine aus Messing, Gardinen aus Nikotin und einem Rauhaardackel mit felllosem Bauch. Frauchen führte das rheumatische Tier täglich zum Gassigehen um den Block, obwohl es gar nicht mehr laufen konnte. Diese Art von Tierliebe ist, so mag man einwenden, bundesweit zu beobachten. Dass korpulente Damen mit ärmellosen geblümten Kittelschürzen nur zwischen Duisburg und Dortmund anzutreffen sind, mag der geneigte Zuschauer also als dichterische Freiheit gelten lassen. Insgesamt stellt Malmsheimerer die Montanregion allerdings als Wohnort liebenswerter Menschen dar, ohne in Pathos oder Kitsch zu verfallen. Ein stolzer Ruhrie ist der Dichter nicht: »Ich habe keine Heimat, ich habe kein Vaterland. Das einzige, was ich habe und was ich sehr liebe, ist meine Muttersprache. Aber ich bin hier nicht verortet, wie man heutzutage sagt.«

Malmsheimer kam auf Umwegen zu seinem jetzigen Beruf. Sein Elternhaus war intellektuell vorbelastet. Der Vater, Lehrender an einer Universität, die Mutter, Lehrende an einem Mädchengymnasium, seien, so der Kabarettist, den Umgang mit jungen Leuten gewöhnt gewesen. Die spontane, lebendige und liebevolle Art seiner Eltern habe ihn, seine beiden Brüder und seine Schwester geprägt. Zu seiner Schulzeit erklärt Malmsheimer: »Nach bereits sechs Jahren folgt der erste Schulbesuch, der sich kontinuierlich, aber gegen Ende mit Verwerfungen, bis zum zwanzigsten Lebensjahr hinzieht und durch, nur mit ausgeklügelten Messverfahren nachweisbare, Erfolge schwach gewürzt ist.« Mit Herbert Grönemeyer ging er auf das gleiche Gymnasium. »Er war in der Oberprima, ich in der Sexta. Wir haben zusammen im Chor gesungen. Er im Bass, ich im Sopran. Mit weißem Hemdchen und weißen Söckchen, also ganz süß, ich, er nicht.« Acht Semester Germanistik studierte er ohne entsprechenden Abschluss, dann absolvierte Malmsheimer eine Buchhändlerlehre. Nach Ladenschluss ging der Buchhändler dann mit manchem von ihm gehandelten Buch in eine benachbarte Kneipe, um dort zu lesen. Laut zu lesen. Schnell hatte er wegen seines prägnanten Vortrags ein Publikum. Und er wechselte zu Selbstverfasstem. Zusammen mit dem ebenfalls in Bochum beheimateten Komiker Frank Goosen gründete er 1992 das Duo »Tresenlesen«. Etwa 800 Auftritte absolvierten die beiden in den dann kommenden acht Jahren, zunächst im Ruhrgebiet, dann quer durch die Republik. Die in jener Zeit aufgenommenen fünf CD's sind restlos ausverkauft. Liebhaber zahlen horrende Preise für antiquarische Exemplare. Die Zusammenarbeit zwischen Malmsheimer und Goosen war lange erfolgreich. Die beiden sehr unterschiedlichen Charaktere, Malmsheimer als Feingeist und Denker, Goosen als polternder Prolet, ergänzten sich zunächst vortrefflich. Doch ähnlich wie bei John Lennon und Paul McCartney trat das Verbindende mehr und mehr in den Hinter- und das Trennende in den Vordergrung. Auf die Frage: »Glücklich geschieden?« antwortet Malmsheimer nur mit einem vielsagenden Schmunzeln.

Im neuen Jahrtausend stand Malmsheimer also überwiegend allein auf der Bühne. Der Erfolg blieb. Der erste Sohn war bereits drei Jahre alt, da kam der zweite zur Welt. Manchmal bedeuet der Beginn der Familienphase ja zunächst einen Karriereknick. Auch beim jungen Vater Jochen Malmsheimer? »Na klar, aber es war ein Knick nach oben«, erklärt der inzwischen nicht mehr ganz so junge Vater. Ein Bühnenprogramm mit dazugehörigem Buch stellte die unglaublichen Erlebnisse der Familie Malmsheimer dar. Der kleine Krieg zwischen Hebamme und Vater während der Hausgeburt wurde genauso detailgetreu dargestellt wie das Vergraben der tiefgefrorenen Plazenta unter einem Apfelbäumchen im Nieselregen. Das Programm »Halt mal Schatz« ist ein treffend-böser Kommentar zum alternativ geprägten Familienleben. Das dazugehörige Buch, zu dem der Autor laut Eigenauskunft von seinem Verlag gedrängt wurde, sollte in jedem Geburtsvorbereitungskurs Pflichtlektüre sein. Die Hechelatmung übenden werdenden Väter und saure Gurken verspeisenden werdenden Mütter können sich in diesem Buch gut wiedererkennen. Inzwischen berichtet Malmsheimer allerdings nur noch selten von Kind und Kegel. »Ich gehöre nicht zu denen, die ständig ihr Privatleben darstellen.«

Auch politische Massenveranstaltungen meidet der Satiriker. Mit Mehrheitsmeinungen habe er sich immer schwer getan. Malmsheimer knurrt durch den fast geschlossenen Mund: »Hab mir bislang immer wieder mein eignes Süppchen kochen können.« Andererseits sei er weltanschaulich schon im linken Spektrum zu »verortet«, sagt er und benutzt bei dieser Feststellung sein unzweifelhaftes Lieblingsverb. Seine spektakulärste politische Aktion bislang war aber nur begrenzt radikal. Nach der Bekanntgabe der Schließung des Bochumer Nokiawerks vor gut einem Jahr hat er sein Mobiltelefon jener Marke außer Dienst gestellt.

Wenn er an seine Vorbilder denkt, dann seien da natürlich auch politische Kabarettisten zu finden. Werner Finck, Ursula Herking, Sammy Drechsel, Dieter Hildebrand – des Bochumers Mentoren sind bei den Lach- und Schießgesellschaftlern der ersten Stunde zu finden. Aber auch aktuelle Mimen findet Malmsheimer interessant. Zum Beispiel Georg Schramm. In dessen ZDF-Sendung »Neues aus der Anstalt« trat er schon auf.

Obwohl hauptsächlich als Alleinunterhalter unterwegs, kooperiert Malmsheimer auch mit Kollegen. Gern lässt er sich von dem Düsseldorfer Salonorchester »Herr Rössler und sein Tiffany-Ensemble« begleiten. Mit Uwe Lyko alias Herbert Knebel und anderen lokalen Komikerinnen und Komikern führte er zur letzten Weltmeisterschaft die Revue »FußballFieber« vor den Toren des Dortmunder Stadions auf. Auch als Vorleser hat sich der Mann mit der prägnanten Stimme verdingt. »Der König auf Camelot« von T.H. White und »Die Brautprinzessin« von William Goldman sind von ihm auf Tonträgern zu hören.

Und nun bekommt Jochen Malmsheimer den Deutschen Kleinkunstpreis. Viele Kollegen sagen, dass er ihn verdient habe. Ein ungenannt bleibender Kabarettist aus dem Ruhrgebiet murrt: »Ein Preis für Kleinkunst ist doch eine schwierige Sache. Beim Sport gibt es messbare Daten. Aber bei der Kunst?« Malmsheimer selbst gibt sich ein wenig schüchtern. Die Auszeichnung sei gar nicht so wichtig. Dann aber freut er sich doch. »Es öffnet sich eine Tür, und ich bin in einem Raum, in dem viele der mir sehr wichtigen Kollegen bereits sind.« Tatsächlich ist der Deutsche Kleinkunstpreis an so namhafte Künstler wie Reinhard Mey, Wolf Biermann, Hannes Wader, Dieter Hildebrand und Loriot verliehen worden. Den allerersten Preis erhielt 1972 Hanns Dieter Hüsch.

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