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Kofferpacken in der Krise

Bis Sonntag wirbt die Internationale Tourismusbörse in Berlin um die Gunst der Reisewelt

  • Heidi Diehl und Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
»Die Krise treibt uns in eine Rezession, deren Ende niemand absehen kann«, sagt Talib Rifai, der Generalsekretär der Welttourismusorganisation. »Die Reisebranche wird gestärkt aus der Krise hervorgehen«, sagt Klaus Laepple, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft. Für beide Sichten lässt sich auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB) noch bis Sonntagabend das eine oder andere Argument finden. Und vielleicht auch die Lücke fürs ganz persönliche Reiseschnäppchen 2009.
Halle 5.1. wirbt mit Jobs in Tourismusberufen – der Andrang ist bescheiden.
Halle 5.1. wirbt mit Jobs in Tourismusberufen – der Andrang ist bescheiden.

In einigen Ländern, insbesondere in Ost- und Mitteleuropa, sieht man zumindest mit Blick auf die deutschen Gäste, einen Schimmer am Horizont. In Polen beispielsweise bekommt man für einen Euro 28 Prozent mehr als in Deutschland, in Tschechien sind es 15 Prozent. Mit »preiswert« können andere Nachbarländer wie die Schweiz und Österreich nicht unbedingt punkten, dennoch gibt man sich dort sehr hoffnungsfroh. Eva Gattringer, die für die Tirol Werbung Marktforschung betreibt, spricht allen Unkenrufen zum Trotz von einer bislang guten Buchungslage. Der Winter häbe der Alpenregion ein sattes Plus von sechs Prozent beschert. Durch gezielte Werbeaktivitäten hoffe man, am Ende des Jahres für den Sommer ein ähnlich gutes Ergebnis wie im vergangenen Jahr verbuchen zu können. Immerhin sei für die Hälfte aller deutschen Österreichgäste Tirol das Urlaubsziel.

Macelline Kuonen von Schweiztourismus setzt, ähnlich wie die Österreicher auf die Nähe zu Deutschland. 30 Prozent aller ausländischen Gäste kämen aus Deutschland, man sei optimistisch, dass das so bleibe. Die Eidgenossen hoffen, mit Urlaubern aus den umliegenden Ländern den weggebrochenen asiatischen Quellmarkt ausgleichen zu können, so Kuonen. Doch dafür müsse und wolle man für den Sommer verstärkt um die Gunst werben. Schweiztourismus habe deshalb im Parlament den Antrag gestellt, zusätzliche Gelder für touristische Werbung in den Nachbarländern zu bekommen.

Dass ohne Werbung immer mehr Menschen ihre Pizza künftig lieber zu Hause essen werden statt unter Capris Sonne, haben auch die Italiener begriffen und eine erstmals weltweite Kampagne mit TV-Spots begonnen. Demnächst werden auch in deutsche Wohnzimmer Urlaubsträume flimmern.

In den Niederlanden setzt man stark auf Familien mit Kindern, erzählte Alexandra Klaus vom Niederländischen Büro für Tourismus. Ihre »Geheimwaffe« seien die zahlreichen Ferienparks, gewissermaßen eine niederländische Spezialität, die sich gerade in Zeiten knapper Kassen großer Beliebtheit erfreuen

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Während die Besucher in den oberen Messehallen mit bunter Vielfalt, Gewinnspielen und kleinen Geschenken an die Stände gelockt werden, geht es in der Unterwelt in den Halle 5.1. sehr ruhig zu. Dabei warten hier wirkliche Schätze, zumindest für Leute, die einen Job oder eine Lehrstelle in touristischen und gastgewerblichen Berufen suchen. Erstmals präsentiert sich die Bundesagentur für Arbeit Suhl mit ihrer Initiative »MeerArbeit«. Mit fast allen Kreuzfahrtanbietern ist sie eine Kooperation eingegangen und bietet Jobs auf allen Weltmeeren. Hier kann man sich beraten lassen oder zahlreiche aktuelle Stellenangebote finden. Am ersten Messetag allerdings hielt sich der Andrang noch sehr in Grenzen. Möglicherweise weil das »normale« Publikum erst am Wochenende Zutritt zur ITB hat. »Dann aber«, so André Nickel von der Agentur für Arbeit Suhl, »werden Vertreter von allen Kreuzfahrtunternehmen mit Angeboten vor Ort sein.«

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»Ja, und dann bieten wir natürlich auch noch eine Route auf den Spuren der Sandinsten an«, ergänzt Julio C. Videa Alvarez, Direktor der staatlichen nicaraguanischen Tourismusbehörde, nachdem er bereits die Kaffee-Tour durch die Nordprovinzen sowie die Wasser-Tour an der südlichen Flussgrenze zu Costa Rica erläuterte. »Und wir hoffen, dass eben diese Sandinisten-Tour gerade im 30. Jahr nach der Revolution auf großes internationales Interesse stößt.« Alvarez verhehlt nicht, dass er da nicht zuletzt an die Deutschen denkt, die einst in der GDR, der German Democratic Republic, zu Hause waren. »Von dort erreichte uns damals eine riesige Welle der Solidarität«, erinnert er sich. »Und nachdem Daniel Ortega (der Sandinistenchef – d.R.) nun seit gut zwei Jahren wieder Präsident ist, lohnt sich doch gewiss ein Besuch, um zu schauen, was aus der Revolution so geworden ist.« Das will Alvarez durchaus auf die Ergebnisse der grünen, ökologischen Revolution in seinem Land ausgedehnt wissen, die unter anderem einen sanften, geleiteten Tourentourismus favorisiert.

In diese Strategie klinkt sich übrigens ein kleiner, rühriger Veranstalter aus Berlin ein. Auf der ITB erläutert Christel Schemel, Geschäftsführerin von »Reisezeit«, Herrn Alvarez, der die ganze Sache toll findet, Details einer geplanten Kultur- und Freundschaftsreise. Sie soll in der zweiten Julihälfte stattfinden. Erste Station wird das Dorf Monimbo sein, dessen Giebelwandbild, 1985 gemalt von Manuel Garcia Moia in Berlin-Lichtenberg, unlängst von Nicaraguafreunden restauriert und konserviert worden ist. Im solidarischen Reisegepäck wird, so Frau Schemel, auch eine technische Ausrüstung für eine Brillenwerkstatt sein. Die Gruppe sei derzeit noch für weitere Teilnehmer offen (www.reisezeit-tourismus.de).

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Zum einen reagiert Tourismus hochsensibel auf alle Krisen- und Kriegsereignisse mit abrupt sinkenden Zahlen. Gerade deshalb schönt die Brache zum anderen solche Vorgänge gern. Im günstigsten Fall übergeht sie sie vornehm. Wie beispielsweise die israelische Tourismusministerin Ruhama Avraham, von ND auf den Einbruch von minus 30 Prozent in den Monaten des jüngsten Gazakonflikts angesprochen, ganz lakonisch sagt, »wir hoffen, aus der Krise herauszukommen«. Dafür setzt man 2009 auf die Magnetwirkung des Papstbesuchs und des 100jährigen Jubiläums Tel Avivs.

Westjordanland, Hebron, Ramallah, Bethlehem, Jericho, Nablus? Kein Problem, meint sie. Die Grenzpunkte seien offen: einfach nur, das dauere ganze zehn Minuten, den Bus wechseln. Im übrigen helfe Israeltourismus, Wege zum Frieden im Nahen Osten zu finden. Womit man sich übrigens mit der anderen Seite herzlich einig ist. Von »fundamentaler Rolle für den Friedensprozess ist der Tourismus«, betont auch Khouloud Daibes, zuständiger palästinensischer Fachminister. Und dass die Zahl der Reisenden so rapide steige, sei unter anderem »ein Ergebnis der sicheren Atmosphäre«, in der das alles ablaufe, meint er.

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Nicht nur im heiligen Land, sondern am besten in einer gänzlich heilen Welt reist es sich eben besonders gut. Da mögen alle Börsen zusammenbrechen, da mag man quasi vor dem Staatsbankrott stehen, »aber unser Land ist doch immer noch unser schönes Land, mit seiner herrlichen Landschaft, seinen Menschen, seinem Reichtum an Energie und Fisch«. So beschwört Olavur Davidsson, Islands Botschafter in Deutschland, den skeptischen Journalisten. Okay, es habe zu Hause jüngst wirtschaftlich und politisch Aufregungen gegeben. »Aber gerade weil uns die Finanzkrise als erste und so hart traf, haben wir deshalb anderen gegenüber auch einen Vorsprung, da wieder rauszukommen.«

Tatsächlich wirkte die taumelnde isländische Krone tourismustechnisch für die Einreise anziehend. In den beiden ersten Monaten 2009 seien 20 Prozent Besucher mehr aus Deutschland gekommen als im Vergleichszeitraum 2008, sagt David Johannsson, der die staatliche Tourismusbehörde leitet. Bei Veranstaltern ist indes zu erfahren, dass die Flug- und Hotelpreise, weil schon lange vorher auf Eurobasis vertraglich vereinbart, keinesfalls gesunken seien. Wer indes irgendwie privat unterkomme, der hätte derzeit in Island einen wirklich preiswerten Urlaub. Vielleicht in einem der vielen Häuschen, deren Kredite längst geplatzt sind. Es gibt da allerdings ein Nadelöhr: die Flugverbindungen. Und für Seereisen wie zu Zeiten Jung-Siegfrieds reiche deutscher Urlaub meistens nicht aus.

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Wenn sich für die Messebesucher die Tore schließen, ist noch lange nicht Schluss mit Gute-Laune-Verbreitung, im Gegenteil. Jetzt geht die Party erst richtig los. Bei den Schweizern versucht die Köche-Nationalmannschaft Appetit auf Matterhorn und Co. zu machen, Alphörner, Häppchen und die guten Schweizer Weine sorgen für den Rest.

Bei der TUI windet sich akrobatisch eine Dame in den Seilen, was man trotz Ankündigung von möglicher Kurzarbeit beim größten deutschen Reiseveranstalter um Himmelswillen nicht als Sinnbild sehen möchte. Nach dem Motto: Wir werden die Kuh schon vom Eis holen, amüsieren sich Hunderte im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums.

Und die Iren feiern mit geladenen Gästen stilecht in einem Irish Pub. Höhepunkt ist die Verleihung des alljährlichen Preises für den besten journalistischen Beitrag des vergangenen Jahres über die grüne Insel. Die Siegerreportage trägt den Titel »Stop and go«.

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