Entwicklung durch aggressiven Ökotourismus?

Das UNO-Modell stößt bei vielen Ureinwohnern auf Kritik

  • Norbert Suchanek
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Vor vier Jahren propagierte die UNO den Ökotourismus als neues Tourismusmodell. Nun hat das internationale Jahr des Ökotourismus offiziell begonnen. Doch die Meinung darüber ist so geteilt wie die Welt vor und nach dem 11. September 2001.

Während die Tourismusbranche und die meisten Nichtregierungsorganisationen (NRO) der Industriestaaten das »International Year of Ecotourism« (IYE) begrüßen, findet es heftige Ablehnung bei NRO aus den Entwicklungsländern und bei indigenen Völkern. Denn das Jahr des Ökotourismus betrifft in erster Linie die Bewohner der südlichen und östlichen Hemisphäre, wo vom Massentourismus noch unberührte Gebiete als neue Zielorte für die Devisen bringenden Urlauber aus dem Westen verstärkt entwickelt werden sollen. Die längst überfällige Ökologisierung des Tourismus hingegen ist nicht Thema des IYE. Die Veranstalter des IYE - die von Reisekonzernen mitbestimmte Welttourismusorganisation (WTO) und die UN-Umweltbehörde (UNEP) - und die beratende US-amerikanische International Ecotourism Society verstehen unter »Ecotourism« in erster Linie die touristische Nutzung von Naturräumen nach westlichem Modell. Dabei redet die Branche gerne von »nachhaltigem«, »sanftem«, »verantwortungsbewusstem« und »umweltfreundlichem« Tourismus. Die Realität sieht nach Meinung der IYE-Kritiker anders aus. Denn der real existierende Ökotourismus habe für viele Menschen der so genannten Dritten Welt bisher faktisch nur zu Nachteilen geführt - Ausnahmen bestätigen die Regel. Hauptzielgebiete des internationalen Ökotourismusbooms sind die letzten ökologisch intakten Regionen mit einer hohen Artenvielfalt. Doch diese Gebiete sind fast immer auch Heimat von noch relativ traditionell lebenden Bevölkerungsgruppen und ethnischen Minderheiten. Vor allem die Schaffung von Nationalparks als Abenteuerspielplatz für Urlauber brachten bereits viele indigene Völker um Land und Existenz und machte die Einheimischen zu »Zaungästen« im eigenen Land. In der Regel wurden die Ureinwohner auch gar nicht vorher gefragt, ob sie ihr Land für westliche Urlauber und westlich-orientierte Naturschützer hergeben wollen. »Die Mitbestimmung der ansässigen Bevölkerung und ihre wirtschaftliche Teilhabe an der Tourismusentwicklung liegen nicht nur in den philippinischen Kordilleren im Argen, sondern sind weithin ungelöste Probleme der verschiedensten Ökotourismusprojekte in naturnahen Gebieten des Südens«, schreibt Marianne Frei vom Arbeitskreis Tourismus und Entwick- lung (akte) in der Schweiz. Dies bestätigt ein vom US-amerikanischen-indianischen Rethinking Tourism Project (RTP) und mehreren indigenen Organisationen nun unterzeichneter Brief an die UNO, in dem es heißt: »Die meisten Formen von Ökotourismus sind simpler Massentourismus und dafür bekannt, dass sie verheerende Einflüsse auf die biologische Vielfalt der Ökosysteme haben«. Ökotourismus schädige insbesondere indigene Völker, die seit Generationen und Jahrtausenden die biologische Vielfalt ihrer Heimatgebiete erhalten haben. Wenig angetan vom IYE sind gleichfalls indigene Nichtregierungsorganisationen aus Asien. Gemeinsam mit dem World Council of Churches (WCC) und der Ecumenical Coalition on Third World Tourism (ECTWT) zeigen sie sich beispielsweise besorgt über die Ausweitung des Tourismus in Naturschutzreservaten und anderen natürlichen Gebieten, was zur Vertreibung indigener Völker geführt habe. »Wir sehen das IYE-2002 als Teil dieses Vertreibungsprozesses durch verstärkte Privatisierung und Globalisierung«, schreiben sie in ihrem aktuellen Statement an die UNO. Sie fordern darin, dass alle im Namen des IYE geplanten und durchgeführten Ökotourismusprojekte gestoppt werden. Das Tourism Investigation and Monitoring Team (Tim-Team) könnte diese Forderung bestimmt unterschreiben. Die in Thailand ansässige und zum Third World Network gehörende Organisation verfolgt seit Jahren die Entwicklung des Ökotourismus in Südostasien und kommt zum Schluss: »Ökotourismus ist ein aggressives Entwicklungsinstrument, das oft zu Umweltzerstörungen, zur Plünderung der biologischen Vielfalt, zum Zerbrechen der Gemeinden, zur Zwangsumsiedlung und Diskriminierung von Einheimischen, insbesondere von traditionellen, indigenen Völkern führt.« Gerade im Hinblick auf die Globalisierung mit ihrer Strategie des »Freien Marktes« habe die Ökotourismusentwicklung weltweit nicht nur die Umweltprobleme verschärft, sondern ebenso den Ausverkauf und die Übernahme von Natur und Kultur durch Unternehmen gefördert, kritisiert Anita Pleumarom vom Tim-Team weiter. Ihrer Meinung nach ist der Ökotourismus eher eine Barriere, als ein Instrument zur Armutsbekämpfung und zur nachhaltigen Entwicklung. Diese durch wissenschaftliche Studien und jahrelange Erfahrungen unterstützte Kritik am Ökotourismus findet allerdings kaum Eingang in die Vorstandsetagen von Weltbank, Welthandelsorganisation und staatlichen Entwicklungsbehörden. Auch die westlichen Naturschutz- und Tourismusorganisationen wie WWF, Conservation International oder der International Ecotourism Society möchten eher nichts davon wissen. Deshalb wurden die kritischen Stimmen bei den Vorbereitungskonferenzen zum UNO-Ökotourismusjahr weitestgehend ausgeklammert und südliche Nichtregierungsorganisationen sowie indigene Völker von den Entscheidungsprozessen ferngehalten. Die Mechanismen dazu sind so einfach, aber wirkungsvoll. Die internationalen Ökotourismuskonferenzen finden schlicht rund um den Globus verteilt in irgendwelchen x-Sterne-Hotels, Urlaubsorten und Kongresszentren statt und kosten obendrein noch eine satte Teilnahmegebühr. Eingeladen sind natürlich alle - doch welche unabhängige Dritte-Welt-NRO, welches indigene Volk hat das Geld, die Flugkosten, Unterbringung, Spesen und die Teilnahmegebühr für auch nur einen Vertreter zu bezahlen? So blieben die Internationalen Ökotourismus- Konferenzen bisher weitestgehend geschlossene Gesellschaften. Kein Wunder also, dass sich die ethnischen Minderheiten und die große Mehrheit in der »Dritten Welt« wieder einmal betrogen fühlen. Für das Tim-Team steht fest: »Das Internationale Jahr des Ökotourismus war von Beginn...

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