Passionierte Finger an filigranem Besteck

Beim sportlichen Schlossöffnen sind viel Geduld und Geschicklichkeit gefragt

  • Anja Sokolow
  • Lesedauer: 3 Min.
Werkzeuge und Schlösser – mehr ist für einen netten Nachmittag nicht nötig.
Werkzeuge und Schlösser – mehr ist für einen netten Nachmittag nicht nötig.

Ausgerechnet ihnen passiert es: Auch an diesem Sonnabend wollen sich die Mitglieder des Vereins »Sportsfreunde der Sperrtechnik« in ihrem Stammcafé treffen. Doch diesmal stehen sie vor verschlossenen Türen. »Das Schloss wäre in wenigen Minuten zu öffnen«, schätzt Torsten Quast. Der 39-Jährige würde am liebsten sein Werkzeug zücken. Wären da nicht Sportordnung und Strafgesetzbuch, die das verbieten. Und so ziehen die Männer unverrichteter Dinge in ein anderes Café um.

Die Sportsfreunde der Sperrtechnik, die sich auch »Lockpicker« nennen, betreiben ein ungewöhnliches Hobby: Mit filigranen, an Zahnarztbesteck erinnernde Edelstahlwerkzeugen, versuchen sie, Schlösser zu öffnen, und zwar möglichst schnell, und ohne sie dabei zu beschädigen. An diesem Trainingsnachmittag geht es gemächlich zu: Die Lockpicker stellen den Vereinswimpel auf, bestellen Getränke und packen ihre Werkzeugtäschchen aus. Für Torsten Quast, der Geburtstag hat, gibt es noch Geschenke: gebrauchte Vorhängeschlösser. Die Männer machen sich sofort ans Werk. Mit ihren Spiralen, Haken und Nadeln ertasten und bearbeiten sie die Schließzylinder, bis auch der letzte Sperrstift seinen Widerstand aufgibt und das Schloss sich öffnet. Die Gespräche drehen sich nebenbei um Tricks und um Alltägliches – es ist eine Art Handarbeitskreis für Männer.

Fingerspitzengefühl, technisches Verständnis und Geduld sind gefragt. Im günstigsten Fall dauert das Schlossöffnen wenige Sekunden. Mit kniffligen Exemplaren kämpft ein Lockpicker auch schon mal tagelang. Eine Standardanleitung gibt es nicht. »Entweder man verlässt sich auf sein Gefühl und ertastet das Schlossinnere oder man kennt die einzelnen Zylindermarken sehr genau«, erklärt Quast.

In Berlin gibt es etwa ein Dutzend passionierter Lockpicker. Deutschlandweit sind etwa 500 im Verein organisiert. Torsten Quast gehört als mehrfacher Deutscher Meister zu den Besten. Schon als Kind hatte der heutige Physiker ein Faible für Technik. Während Gleichaltrige auf dem Schulhof tobten, dekodierte er Zahlenschlösser an den Fahrrädern von Mitschülern.

Der Vorsitzende der Berliner Gruppe, Ulrich Schütter, kam erst vor einigen Jahren durch zu diesem Sport. Zwei Monate lang versuchte er sich an einem Schloss – erfolglos. Dank der Hilfe des Vereins weiß sich der 50-jährige Ingenieur mittlerweile zu helfen. Selbst sein Wohnungsschloss ist keine Hürde mehr für ihn. »Wenn man nach langer Zeit ein Schloss öffnet, ist das ein großes Glückgefühl«, beschreibt Schütter den Reiz. Nicht zu unterschätzen sei auch der meditative Aspekt, ergänzt sein Picker-Kollege Clemens Oeltjen. Für ihn ist das Hobby der perfekte Zeitvertreib. »Wenn ich zum Arzt gehe, stecke ich immer zwei Schlösser ein«, sagt Oeltjen, der in seiner Sammlung über 250 Modelle verfügt.

www.lockpicking.org

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