Kostbare Geschichtslektion

Im Bröhan-Museum verzaubern »Tanzende Figuren« aus Porzellan

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Kaiserwalzer aus der Sammlung Vladimir Malakhov
Der Kaiserwalzer aus der Sammlung Vladimir Malakhov

Fantasieballerinen aus Porzellan gibt es, seit Böttger dessen Herstellung in Europa möglich gemacht hat. Was derzeit im Bröhan-Museum zu bewundern ist, folgt indes einem speziellen Sammelprinzip. Alain Bernard, Tänzer, Choreograf und Pädagoge aus der Schweiz, und sein Kollege Vladimir Malakhov, Intendant am Staatsballett Berlin, interessieren sich ausschließlich für porzellanene Tanzdarstellungen nach historischen Vorbildern. Mit seiner Kabinettausstellung »Tanzende Figuren« präsentiert Bröhan auf engem Raum und geschützt in Vitrinen gleichsam eine Lektion in Tanzgeschichte.

Rund 200 Exponate stehen gedrängt in je zwei Etagen und zeigen Entwicklungslinien auf. Es waren die Wiederbelebungsversuche des Tanzes, jenseits des in Konvention erstarrten Balletts, die um 1900 bildende Künstler anregten. Andrerseits wirkten deren Stilexperimente entflammend auf den Tanz zurück. So gehen Tanz und Art Nouveau eine fruchtbare Liaison ein. Was der Jugendstil spiegelt, die Befreiung der schwingenden Linie, bietet der Tanz und greift seinerseits jene Freiheit der Gestaltung begeistert auf.

Expressivität und Innenschau des Ausdruckstanzes finden nun auch in Porzellan statt, bis mit den Ballets russes des Sergej Diaghilew ab 1909 ein reformiertes Ballett die Bühne betritt und sie bis heute nicht mehr verlässt. Die Errungenschaften des Ausdruckstanzes zwangen es zu Vertiefung und Neubesinnung und wurden so unfreiwillig Geburtshelfer einer totgesagten Spezies. Die Ausstellung bei Bröhan illustriert das von 1910 bis zur Gegenwart. Porzellanweiß oder wunderbar ornamentiert reihen sich Tanzheroinen, hergestellt bei Hutschenreuther, Rosenthal oder KPM, in Meißen, Herend, Wien, Petersburg oder von kleinen Unternehmen. Da lassen Loie Fuller und Isadora Duncan, Ahnfrauen der Tanzmoderne, ihre Röcke fallen oder wallen, breitet Mary Wigman im Mondtanz ihr Kleid zu Schwingen, Niddy Impekoven das ihre zu Schmetterlingsflügeln. Synchron oder walzerselig biegen sich die tanzenden Schwestern jener Ära, die Höpfners, Falkes, Wiesenthals; ihre auf Exotik abonnierten Kolleginnen, ob Ruth Saint-Denis oder Sent M’Ahesa, lassen der Fantasie ägyptisch oder orientalisch freien Lauf.

Von der Rokoko-Ziererei bis zur nubischen oder ionischen Impression reicht das Posenangebot, vom Charleston bis zum Pusztalied und Ursula Deinerts Csárdás-Feuer. All die personell zuzuordnenden Exponate gehen auf Fotos zurück, nach denen begnadete Gestalter wie Constantin Holzer-Defanti, Josef Lorenzl, Lore Friedrich-Gronau, Paul Scheurich ihre Figuren entwarfen. Dem Material haben sie dabei oft das Äußerste abverlangt, im Sprung, in bizarren Körperwendungen, der Balance zweier aus der Achse gelenkter Leiber. Mit 14 Beispielen ist die vergötterte Anna Pawlowa vertreten, indisch auf Spitze, in einer Gavotte und ihrer Paraderolle, dem »Sterbenden Schwan«.

Zu den schönsten Exponaten zählen die nach den Ballets russes. Fokin renkt sich als Harlekin, Karsawina ängstigt sich als Feuervogel, Nijinsky regte noch 1997 zur zweitgrößten Plastik der Ausstellung an; mit 70 Zentimetern ist Fritz Klimschs »Tänzerin« die höchste. Die in sowjetischer Ära gefertigten Stücke, nach Ulanowa, Dudinskaja, Plisetskaja, sind von unterschiedlicher Qualität. Sie alle jedoch, von Harald Kreutzbergs Introversion bis zu Anita Berbers Koketterie, versetzen das Porzellan und mit ihm das Ausstellungskabinett in schwingenden Tanz.

Bis 31.5., Di-So 10-18 Uhr, Bröhan-Museum. Schloßstr. 1a, Charlottenburg, Telefon:

32 69 06 00, Infos im Internet:

www.broehan-museum.de

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