Taube zwitschert

»Twitter«: Karriere im Internet

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Zwitschern der »Tontaube« war medienmächtig, auch wenn das Bild schief ist: Tauben zwitschern nicht, sie gurren. Aber Tontaube ist ja auch gar keine Tontaube, sondern eine junge Frau aus Baden-Württemberg, die für ein paar mediale Sekunden im Licht der Öffentlichkeit stand. Weil sie in dem »Microblognetzwerk« mit dem Namen »Twitter« – also »Zwitschern« – vom Amoklauf in Winnenden schrieb: »Achtung. In der Realschule Winnenden gab es heute einen Amoklauf – besser nicht in die Stadt kommen!!!« Sie hatte zwar nichts gesehen, nur über ein paar Ecken etwas gehört, aber dies reichte, um bei TV-Sendern und Zeitungen für Aufgeregtheit zu sorgen. Und plötzlich wusste auch der Rest der Republik von einem neuen Kommunikationsraum.

Ein bisschen was hat »Tontaube« mit der US-Amerikanerin Jennifer Kaye Ringley zu tun. Diese installierte 1996 eine Webcam in ihrem Zimmer, und die Bilder gelangten über ihre Website ins Internet. Mit 21 Jahren zog Jennifer nach Washington D.C., vernetzte ihre neue Wohnung nun mit vier Kameras und lieferte so der Welt täglich Bilder aus ihrem Privatleben, inklusive der Sexszenen. Das war neu, bis dahin gab es per Webcam nur Kaffeeautomaten zusehen, und so berichteten die alten Medien ausführlichst über Jennifer und ihre Website, für die man inzwischen zahlen musste. »Tontaube« hat nun mit Jennifer gemeinsam, dass sie ihr Privatleben in das Netz stellt, dass dies über das Internet-Portal »Twitter« geschieht und dass Medien berichten.

Jeder, der sich einloggt, kann 140 Zeichen-Meldungen absetzen, die wiederum jeder einsehen kann. Soziales Netzwerk nennt sich das, und dies meint, dass sich Internet-Nutzer über verschiedene Kommunikationsplattformen vernetzen können und so virtuelle Gemeinschaften entstehen.

Man kann sich das Internet wie einen neuen Kontinent vorstellen, der gerade dabei ist, nach einem Vulkanausbruch aus den Fluten des Ozeans aufzutauchen. Auf diesem neuen Kontinent versammelt sich nun von Zeit zu Zeit die (verkabelte) Menschheit und – kommuniziert. Damit das aber auch nur ansatzweise funktioniert, braucht es Kommunikations-Räume. Denn man stelle sich vor, auf der Oktoberfestwiese in München stehen 400 000 Leute, und jeder fängt zu quatschen an. Das ist ungefähr die Situation, wenn man auf die Homepage von Twitter geht: Da zwitschert der Mountain-Bike- Fan »Moooris« aus Okazaki, Japan, irgendwas auf japanisch, und »Chelseahandler« aus San Francisco lässt wissen, dass sie heute Abend irgendeinen einen rosa Yogurt in irgendeiner Show hatten. Virtuell wird ein derartiger Kommunikations-Raum bei Twitter durch »Follower« gebildet, also Interessierte, die mehr oder regelmäßig verfolgen, was man so tagsüber in 140 Zeichen von sich gibt. Erst diese Bildung von Gruppen strukturiert und ermöglicht eine Kommunikation in der Flut an Meldungen.

Und kaum gibt es auf dem neuen Kontinent etwas Neues, neigen sich in den Feuilletons die Häupter der Denker zur Seite, und schon wird reflektiert, was ein neuer Kommunikationsraum wie »Twitter« bedeute. Zum Beispiel dass es sich bei den Twitter-140-Zeichen-Texte um eine »ums Jetzt sich schlängelnde Schrift« handelt, die sich »um das Kontinuum der erlebten Zeit« windet, wie die »Süddeutsche« uns wissen lies. Um ein »Textgewebe« also, dass sich »in Stränge gleichzeitig gesponnener Zeitfäden auflöst».

Es ist allerdings erst ein paar Wochen her, dass Natalie Haug, denn so heißt »Tontaube« mit bürgerlichen Namen, damit begonnen hat, ihre »Zeitfäden« auf Twitter zu spinnen. Mittlerweile hat sie an die 600 »Follower«, und das sind einfach zu viel, um mit allen Kontakt zu halten. Seit Winnenden ist sie bekannt, an die zwanzig Interviews hat sie verschiedenen Medien bisher gegeben.

Inzwischen aber frägt sie sich, was für einen Zweck das ganze Twittern eigentlich haben soll. »Ich glaube, das ist eine vorübergehende Erscheinung«, meint Natalie Haug im Interview. Einer ihrer »Follower« nennt sich übrigens Angela Merkel. Natürlich ist der Name nur geborgt: Hat doch die wirkliche Bundeskanzlerin angekündigt, dass sie im anstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl nicht »twittern« werde.

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