Die Suche nach 753 jüdischen KZ-Opfern

In Jamlitz bei Lieberose wird ab heute nach den Ermordeten gegraben / Staatsanwaltschaft ermittelt

  • Lesedauer: 3 Min.

Lieberose (epd). In Jamlitz beginnen heute die Suchgrabungen nach dem vermutlich größten Massengrab jüdischer Opfer eines KZ-Außenlagers in Deutschland. Die Suche nach den sterblichen Überresten von 753 ermordeten Frauen und Männern, die Anfang Februar 1945 von der SS im Außenlager Lieberose des KZ Sachsenhausen erschossen wurden, soll voraussichtlich Mitte Mai abgeschlossen werden, teilte das Innenministerium mit.

Das rund 5000 Quadratmeter große Grundstück in Jamlitz bei Lieberose gilt einem Gutachten der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten zufolge als Hauptverdachtsfläche für das Massengrab. Grabungen auf insgesamt mehr als 200 000 Quadratmetern auf rund 20 anderen Grundstücken waren 2004 erfolglos beendet worden. Der Eigentümer des Grundstücks, auf dem die neuen Grabungen vorgenommen werden, hatte die Zustimmung zu der Suche bis zu einer Einigung vor dem Oberlandesgericht im Herbst 2008 jahrelang verweigert.

Für Land und Kommune sei es eine »historisch-moralische und dabei zutiefst politische Verpflichtung«, die Grabstelle zu ermitteln, erklärte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Die Verwaltung habe sich dabei »einem dunklen Kapitel regionaler Geschichte« gestellt. Damit werde es auch möglich, das Grab der überwiegend polnischen und ungarischen Juden zu einem Ort würdevoller Totenruhe und mahnenden Gedenkens zu gestalten.

Die Suche nach den sterblichen Überresten stehe »im Zeichen elementarer humanitärer Rechte«, erklärte Peter Fischer vom Zentralrat der Juden. Auch Jahrzehnte nach dem Ende des Faschismus sei der »Prozess tiefster seelischer Auseinandersetzung« mit der deutschen Vergangenheit für die Nachfahren und Angehörigen der in Jamlitz Ermordeten nicht abgeschlossen.

Mehr als 60 Jahre nach der Tat und einem »empörenden Rechtsstreit« in den vergangenen Jahren bestehe nun die Chance, dass »dieses Kapitel in der Geschichte des Holocaust« aufgeklärt werden könne und die Opfer eine würdige Grabstätte erhalten, erklärte der Direktor der Gedenkstättenstiftung, Günter Morsch. Auch die Bewohner von Jamlitz warten darauf, dass »die barbarischen Massenmorde der SS aus den Schlusstagen des KZ-Außenlagers« aufgeklärt werden, erklärte Amtsdirektor Bernd Boschan.

Die Justiz erhofft sich neue Erkenntnisse über den Massenmord, um die Ermittlungen fortsetzen zu können. Ob noch lebende Tatverdächtige ermittelt werden können, sei fraglich, aber nicht ausgeschlossen, erklärte Oberstaatsanwalt Eugen Larres von der Generalstaatsanwaltschaft. Der Charakter der Morde gebiete es, »neuen und unerledigten Ermittlungsansätzen konsequent nachzugehen«.

Verantwortlich für den Massenmord war das SS-Wachbataillon 4 in Jamlitz, dem 120 bis 130 SS-Männer im Alter von damals etwa 20 Jahren angehörten. Vorangegangene Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Cottbus mussten 2002 eingestellt werden, nachdem ein Beschuldigter verstorben und ein zweiter Verdächtiger nicht mehr verhandlungsfähig war. Die SS ließ 1943 in Jamlitz das KZ-Außenlager Lieberose errichten. Die Häftlinge wurden zum Bau eines Truppenübungsplatzes eingesetzt. Anfang 1945 wurde die Auflösung des Außenlagers und die Ermordung kranker und gehunfähiger Häftlinge angeordnet. Am 2. und 3. Februar 1945 wurden 1342 Häftlinge erschossen.

1958 wurden in einer Kiesgrube erstmals sterbliche Überreste von zwölf Opfern gefunden, 1971 wurden erneut Gebeine von diesmal mehr als 577 Ermordeten entdeckt. Ab 1998 ließ das Amt Lieberose nach den vermissten KZ-Opfern suchen.

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