Rechte und Linke? Wer ist wer?
Prozess um eine Schlägerei vor drei Jahren vor der Neonazikneipe »Spreehexe«
Vor dem Gerichtssaal 101 sitzen sieben Prozessbeteiligte. Zwei Angeklagte, drei Opfer, die als Zeugen geladen sind, und zwei Polizisten, ebenfalls Zeugen. Doch wer ist wer? Wer sind die rechten Schläger, die mehrere Leute aus der linken Szene zusammengeschlagen haben sollen, und wer die Opfer? Wer »Fascho«, wer »Zecke«?
Die Polizisten lassen sich herausfiltern. Sie sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, fallen also durchs Raster. Da waren es nur noch fünf zwischen 23 und 26 Jahren. Die Fünf sind allesamt von kräftiger Natur, tragen schwarze Kleidung, Springerstiefel und haben kahlrasierte Schädel. Einer trägt eine »Thor Steinar«-Jacke, ein anderer ein rotes T-Shirt mit Hammer und Sichel. Hinweise auf politische Zugehörigkeit? Falsch: Der Hammer-und-Sichel-Mann ist einer der Angeklagten, das in der rechten Szene beliebte Kleidungsstück trägt eines der drei Opfer. Und die Fünf haben noch mehr Gemeinsamkeiten: Sie sollen am Tattag erheblich einen zur Brust genommen haben, waren also – volkstümlich ausgedrückt – besoffen. Und sie nuscheln alle dermaßen, dass die Zuhörer nur ahnen können, worum es eigentlich geht.
Am 30. April. gegen 4 Uhr früh sollen die Angeklagten in Niederschöneweide mit Bierflaschen auf die jungen Leute geworfen haben, weil sie sie der linken Punk-Szene zugeordnet hatten. Als die Jungs dann am Boden gelegen haben, sollen die Angreifer mit ihren Stiefeln nachgetreten haben, an Beinen, Brust und Kopf. Kurz darauf kam die Polizei und beendete den Spuk.
Drei Jahre später nun der Prozess. Niemand kann sich mehr richtig an das Geschehen von damals erinnern, weder die mutmaßlichen Täter, noch die Opfer. Und die Polizisten, die wissen gar nichts. Nicht mal, ob sie an diesem Tag am Tatort waren. Es war die Schnellerstraße 22. Dort befindet sich der rechte Treff »Spreehexe«. In der Szene ist eigentlich bekannt, dass sich hier gewöhnlich junge schlagbereite Neonazis treffen. Nur die drei Angegriffenen waren ahnungslos, weil sie aus Saalfeld extra angereist waren, um in der »Alten Feuerwache« ihrer Lieblingsband »Oi« zu lauschen. Zur nachmitternächtlichen Stunde trafen dann Rechte und Linke an der Tankstelle zusammen, um ihre Biervorräte aufzufüllen. Sich aus dem Weg zu gehen, das kam für keine der Seiten infrage. Man wollte es wissen. Und als die vermeintlichen Linken nichts ahnend auch noch die »Spreehexe« ansteuerten, da waren die etwa 10 rechten Schläger nicht mehr zu halten. Doch waren die Angeklagten Stephan und Marco die Haupttäter? Die damaligen Opfer haben sie nicht wiedererkannt. Also gibt es keine Beweise für ihre Schuld, außer, dass ihre Namen in Polizeiprotokollen auftauchen.
Eines macht der Prozess deutlich: Die Sinnlosigkeit solcher Verfahren, wo die Geschehnisse so lange zurückliegen, dass sich niemand mehr erinnern kann. So etwas muss unmittelbar nach der Tat verhandelt werden oder gar nicht.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.