Deutsche Turner am Tiefpunkt

TURNEN: Weltcup-Auftakt in Cottbus / Blamabler Auftritt der EM-Kandidaten / Einziger Lichtblick war Birgit Schweigert

Die deutschen Turner stecken derzeit in der tiefsten Krise seit der deutschen Vereinigung. Die teils äußerst blamablen Auftritte der EM-Kandidaten am Wochenende beim Weltcup-Auftakt in Cottbus waren dabei symptomatisch für die Gesamtsituation der deutschen Riegen. »Die Ausgangssituation ist alles andere als berauschend. Uns fehlt derzeit ein nationaler Hero, der für die gesamte Vermarktung unsere Sportart extrem wichtig wäre«, bekannte DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam. In Cottbus konnte im Rekordfeld von 110 Aktiven aus 37 Nationen - Swetlana Schorkina (Russland) sagte kurzfristig wegen einer Grippe ab, und Chinas Turnerinnen reisten trotz Meldung nicht an - kein einziger Deutscher das Image der »grauen Maus« ablegen.
Einzig eine Übung durfte den Anspruch einer EM-würdigen Leistung erheben, doch konnte die deutsche Mehrkampf-Meisterin Birgit Schweigert aus Köln ihre Qualifikations-Darbietung am Stufenbarren im Finale nicht bestätigen und musste vorzeitig vom Gerät. Auch ansonsten enttäuschten die vielfach nur über Wildcards ins Finale gerutschten Deutschen ihr Publikum in der mit 1500 Zuschauern fast ausverkauften Cottbuser Stadthalle. Hingegen brillierten die ausländischen Stars wie der rumänische Olympiasieger Marius Urzica mit dem Tageshöchstwert von 9,750 am Seitpferd oder auch Ringe-Weltmeister Jordan Jowtschew (Bulgarien) mit 9,712 an seinem Spezialgerät.
»Natürlich bin ich unzufrieden. Für die EM vom 18. bis 21. April in Patras gibt es jetzt viele offene Fragen, über die man nachdenken muss«, meinte Cheftrainer Rainer Hanschke. »Uns fehlt der Durchreißer, der sich keinen Kopf macht und im Finale unbeschwert ans Gerät geht. Hier in Cottbus waren die Leistungen meist schlechter als zuvor im Training. Die Ursachen dafür sind schwer zu finden«, zeigte sich der Cottbuser auch recht ratlos.
Kennzeichnend für die hoffnungslose Situation ist, dass Hanschke für die EM sogar auf den Berliner Dimitri Nonin setzt, der in Cottbus sein Comeback nach einjähriger Pause wegen einer Schulteroperation gab und mit gerade mal 8,000 am Seitpferd nicht annähernd sein altes Leistungsniveau unter Beweis stellen konnte.
»Wir werden große Probleme mit beiden Riegen haben, die Olympia-Qualifikation für Athen 2004 zu erreichen, für die Platz 12 in der Welt nötig ist«, fürchtet Willam. Nur allzu gern denkt man im DTB an die Zeiten von Andreas Wecker zurück, der spätestens seit seinem Olympiasieg 1996 als Symbol für den Turnsport in Deutschland stand und in zurückliegenden Jahren viele Schwächen in der Nachwuchsgewinnung zudeckte. »Das Produkt Turnen ist zur Zeit nur ganz schlecht zu verkaufen«, bestätigte auch der Cottbuser Turnier-Direktor Sylvio Kroll. Der zweimalige Olympia-Zweite von 1988 hatte bis zuletzt zittern müssen, um das Turnier finanziell auf die Beine zu stellen.
»Es gibt aber Silberstreife am Horizont«, meinte DTB-Sportdirektor Willam und nannte die Junioren Waldemar Eichhorn (Saarbrücken) und Fabian Hambüchen (Wetzlar) als große Zukunfts-Hoffnungen. Ob die auf Grund der schwachen Resultate von Jahr zu Jahr geringer werdenden Mittel in Zukunft überhaupt noch eine optimale Förderung der Talente zulassen, scheint fraglich. Im Laufe der Woche war bekannt geworden, dass auch der Berliner Landessportbund die international erfolglose Sportart Turnen komplett aus der Spitzensport-Förderung herausnehmen wird. dpa

Männer, Seitpferd: 1. Urzica (Rum) 9,750, 2. Busnari (Ita) 9,312, 3. Suciu (Rum) 9,600, ... 7. Kwiatkowski (Chemnitz) 8,675. Ringe: 1. Jow-
tschew (Bul) 9,712, 2. Csollany (Ung) 9,562, 3. Walid Said (Ägy) 9,525, ... 8. Ziesmer (Cottbus) 9,050.Boden: 1. Sapronenko (Let) 9,412, 2. Jowtschew 9,000, 3. Suciu 9,362, ... 7. Ziesmer 8,525.Sprung: 1. Tamayo (Kub) 9,618, 2. Suciu 9,481, 3. Shewfelt (Kan) 9,413. Barren: 1. Cucherat (Fra) 9,462, 2. Iwankow (Belorus) 9,425, 3. Jowtschew 9,150, ... 9. Nonin (Berlin) 7,975. Reck: 1. Rizzo (Aus) 9,562, 2. Cassina (Ita) 8,950, 3. Pegan (Slowe) 9,550, ... 6. Kwiatkowski 9,212.

Frauen, Sprung: 1. Tschusowitina (Usbe) 9,388, 2. van de Leur (Nie) 9,250, 3. Komrskova (Tsche) 9,168, ... 8. Musik (Bergisch-Gladbach) 8,613. Stufenbarren: 1. Tweedle (Gb) 9,125, 2. Dunn (Aus) 8,675, 3. Bergamelli (Ita) 9,075, ... 7. Schweigert (Köln) 8,425. Balken: 1. Hypolito (Bra) 8,925, 2. Gomez (Spa) 8,887, 3. van de Leur 8,562.Boden: 1. Slater (...

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