Von der Gondel in den Giro

Heute startet die 92. Italien-Rundfahrt, der Star ist Lance Armstrong

  • Tom Mustroph, Venedig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer nach Venedig kommt, muss Gondel fahren. Auch Männer, die als Arbeitsgerät einen harten Sattel zwischen zwei schmalen Rädern gewohnt sind, lassen sich die Gelegenheit zum Gondelausflug nicht entgehen. Acht der erwarteten Protagonisten des heute beginnenden 92. Giro d’Italia, unter ihnen Lance Armstrong (USA), Ivan Basso (Italien), Denis Mentschow (Russland) und Carlos Sastre (Spanien), wurden vor dem Auftakt vom Rennorganisator RCS in eines der für Venedig typischen schlanken Wasserfahrzeuge gesteckt.

Die Bildproduktion des Giro d’Italia läuft bereits. Die Bühne zum 100. Geburtstag ist spektakulär. Neben Venedig gehören Mailand und Turin, Florenz, Triest und Neapel zu den Etappenstädten. Der 3395,5 km lange Kurs führt durch die Alpen und Dolomiten, verweilt in der zauberhaften Landschaft der Cinque Terre und besucht den Vesuv. Auch der Erdbeben geplagten Landschaft um L’Aquila macht er seine Aufwartung. Spenden sind versprochen.

Auf den Bilderbuchpostkarten sind aber auch erste Risse auszumachen. Ausgerechnet Levi Leipheimer war nicht zu dem Favoriten-Stelldichein in der Gondel geladen. Klar, der Mann aus Amerika hat in Italien keine große Fangemeinde. Er hat nur kleinere Rundfahrten wie die in Kalifornien oder jene in Deutschland gewonnen. Aber er geht für das Team Astana als Kapitän ins Rennen. Er ist damit der heißeste Kandidat auf den Gesamtsieg.

Der große Star Lance Armstrong fühlt sich nach eigener Aussage nicht fit genug. »Ich habe nach dem Sturz zwar gut trainiert, aber die anderen sind weiter als ich«, hielt er sich mit Prognosen weitgehend zurück. Eine Etappe nur will er gewinnen. Vielleicht baut der 37-Jährige damit auch nur den Erwartungsdruck ab. Sein Tipp »Ivan Leipheimer.« Eine Hybride aus seinem früheren Kronprinzen Basso und dem jetzigen Teamkollegen Leipheimer.

Zum Auftakt beim Teamzeitfahren am Lido von Venedig traut er seiner Equipe einen Erfolg zu. Wahrscheinlicher ist allerdings ein Sieg der US-Teams Garmin-Slipstream und Columbia-Highroad. Die von Rolf Aldag betreuten Columbia-Männer benutzen das nach eigenen Angaben »schnellste Zeitfahrrad der Welt«.

Gegenwärtig ist fraglich, wie lange es das Team Astana noch gibt. Die kasachischen Geldgeber sind nach Angaben der »Gazzetta dello Sport« sechs Monate mit den Zahlungen in Rückstand und wollen im Juni aussteigen. »Die Kasachen gehen nicht ans Telefon. Es gibt keine Klarheit. Das ist sehr frustrierend«, schildert Armstrong. Er plant, die Astana-Reste in ein eigenes Team Livestrong zu überführen. Das Training zum Teamzeitfahren hat er bereits in einem Livestrong-Trikot bestritten.

Wesentlich leichter als mit den Kasachen gehen dem Texaner die Beziehungen zu den Italienern von der Hand. Die Menge auf dem Markusplatz feierte ihn wie einen Rockstar. Giro-Organisator RCS zahlt eine nicht näher genannte Antrittssumme. »Wir unterstützen seine Krebsstiftung«, erklärt Giro-Direktor Angelo Zomegnan auf Anfrage gewunden. Solche Gebaren sind dem Giro d’Italia nicht fremd. Im Jahr 1930 hatten die Veranstalter dem damaligen Idol Alfredo Binda die komplette Siegprämie ausgezahlt – damit er dem Rennen fernbleibe. Binda hatte die drei Giros zuvor gewonnen und war zum Schrecken seiner Konkurrenten wieder gut in Form.

Ganz ohne Geldzahlungen müssen in diesem Jahr die Profis Luca Paolini (Italien) und Christian Pfannberger (Österreich) zu Hause bleiben. Paolini muss sich vor dem Sportgericht des CONI wegen einer Dopingermittlung aus dem Jahre 2006 verantworten. Pfannberger, 2004 schon mit Testosteron erwischt, wurde jetzt wegen EPO-Konsums herausgefischt.

Der Giro d’Italia startet trotz schöner Bilder stotternd in sein 100. Jubiläumsjahr. Er hatte sogar noch eine merkwürdige Kurskorrektur hinnehmen müssen. Der Abstecher über die französischen Alpenpässe Izoard und Madeleine wurde kurzfristig aus dem Programm der zehnten Etappe genommen. »Logistische Probleme waren der Grund«, erklärt Tour-Boss Zomegnan. Merkwürdig nur, dass keinerlei Probleme die Ausflüge in die Bergregionen Österreichs und der Schweiz überschatten. Merkwürdig auch, dass die Verkürzung just verkündet worden war, als Armstrong sich im Kampf mit der französischen Antidopingagentur AFLD befunden hatte und sein Start auf französischen Landstraßen gefährdet schien.

Aber was soll dieses Veweisen auf die Runzeln eines hundertjährigen Jubilars. Hauptsache ist doch, die Gondeln gleiten schön über den Canale Grande. Oder?

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