Schallgedämpfte Aktion

Für »the silencers« halbiert Toula Limnaios die HALLE in zwei separate Spielorte

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Skulpturale Posen kreiert Toula Limnaios in »Silencers«
Skulpturale Posen kreiert Toula Limnaios in »Silencers«

Die Idee hat etwas: Für die Wiederaufnahme des Erfolgstücks von 2008, »the silencers«, halbiert Toula Limnaios die HALLE in zwei Spielorte. Eine raumhohe Gaze trennt die beiden Teile, der Zuschauer kann wählen, auf welcher Seite er sitzen möchte. Je ein männlicher und zwei weibliche Tänzer bilden die Personnage der Aufführung. Außer dem Geräusch eines Radiators herrscht in der Tat Stille, die Tänzer stehen dem Publikum abgewandt an der Mauer unter den Piktogrammen der einstigen Sporthalle.

Was dann passiert, erlebt man auf der ausgesuchten Spielseite hautnah; durch die transparente Trennwand sieht man das Geschehen im anderen Raum verschattet, aber immer noch gut erkennbar. Eine Frau und ihr jenseitiges Pendant leuchten in die Dunkelheit mit Taschenlampen hinein. Als sich zu mechanischem Pumpen (wohl eines Kolbens) das Bühnenlicht aufhellt, beginnt eine Frau wie im Selbstlauf die Be- und Umsteigung eines Hockers. Auch die übrigen Akteure setzen ein, als würden Masseteilchen ihre Konzentration im Raum stetig verändern, ihn aufbrechen. Dann versinken die Tänzer – in skulpturalen Liege- und Stehposen – wieder in Starre. Eine perkussive Klangcollage aus Scharren und Schaben formt sich analog in Körperaktion um: Das Geräusch gibt hier nicht nur den Rhythmus, sondern auch die Art der physischen Umsetzung vor.

Nach »reading tosca«, einer Annäherung an Puccinis Oper mit den Mitteln des zeitgenössischen Tanzes, enthielt sich Limnaios für ihre zweite Uraufführung der vergangenen Saison konsequent jeglicher erzählerischen Struktur. »Silencers« wartet bestenfalls mit einem Thema auf, untersucht Körperzustände in zwei benachbarten Räumen. Bisweilen korrespondieren die Vorgänge, wirken wie Spiegelbilder, entwickeln aber ein Eigenleben. Wann sich die Protagonisten wieder treffen und zu welcher Aktion – daraus bezieht die Recherche ihre Spannung.

Viel Zeichensprache und Handgestik findet Einsatz, manchmal tanzen zwei Darsteller synchron, dann wieder bugsiert der Mann seine willenlose Partnerin in Kopfstand oder Schräglagen. Ähnlich scheint das jenseits der Gaze – so auch die Balancen je einer Tänzerin auf Pumps, die Halt in einem unsicheren Dasein zu suchen scheinen. Wie Frage und Antwort lässt sich mitunter deuten, was sich auf beiden Seiten vollzieht; wenn sich die Hände zweier Frauen durch die Gaze berühren, mögen beide in ähnlicher Situation sein. Immer wieder setzen jene Rutscher über den Hocker vom Anfang ein, und auch Limnaios’ Lieblingsmetapher – die gesichtslos unter dem eigenen Haar verborgene Frauengestalt – taucht auf.

Die pure Bewegung steht im Zentrum eines Stücks, das vielleicht nicht zu den stärksten der griechischen Choreografin mit Wohnsitz in Berlin gehört, indes anregende Momente hat. Ab und an überlagert Ralf R. Ollertz seine Geräuschkulisse vom Band mit live gespielten Cellopassagen – auch sie zerdehnt und ohne Eigenwert. Stets ist es die Stille, die sich zwischen Bewegungsabläufen behauptet, durchsichtig wird wie die Gaze zwischen den Räumen. Gedanken scheinen durch sie zur anderen Seite zu diffundieren, schaffen eine über das Sichtbare hinaus geheime Verbindung zwischen den Fronten. Mit Leuchtstab respektive »redendem« Lautsprecher tastet gegen Ende je eine der Frauen ihren Raum aus. Haben die Trios gerade zu Unabhängigkeit gefunden, stoppt die Bewegung.

21.-24. und 28.-31. Mai, 21 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 10-11, Prenzlauer Berg, Tel. 44 04 42 92, www.halle-tanz-berlin.de

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