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Rund 1800 Lesepaten helfen lernschwachen Kinder und Jugendlichen

  • Simone Andrea Mayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Um 8 Uhr schüttelt Meister Hans Hauschild Metallspäne von seinem Blaumann. Er grüßt die Kollegen, verlässt die Industriehalle und radelt zur Herman-Nohl-Schule in Neukölln. 15 Minuten später sitzt der 56-Jährige pünktlich zum Stundenklingeln neben Alexander und Burhan auf der Schulbank. Lese-Unterricht steht an, und Meister Hauschild gibt den beiden 15-Jährigen Nachhilfe.

1800 Lesepaten unterstützen über das Bürgernetzwerk Bildung des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) in Schulen Lehrer, indem sie rund 10 000 lernschwache Schüler aus dem regulären Unterricht nehmen und mit ihnen im Einzelunterricht Wort für Wort Texte durchgehen. 15 dieser Paten bekommen von ihren Chefs sogar extra frei, um die kostenlose Nachhilfe während der Arbeitszeit zu erteilen. »Wir sind davon überzeugt, dass eine gute Ausbildung immer wichtiger und in den Schulen der Grundstein für die Entwicklung unserer Kinder gelegt wird«, begründet dies Hauschilds Chef, Herbert Kubatz. Meister Hauschild hat noch immer den Blaumann mit dem Aufdruck »Berliner Glas« an, als er die Tageszeitung aufschlägt. Alexander liest am liebsten den Polizeibericht. »Vielleicht kenne ich ja einen der Verbrecher«, sagt der 15-Jährige. »Das wäre lustig.« Mit dem Zeigefinger fährt er jeden Buchstaben entlang, den er mit den Augen erfasst. Erst dann öffnet er den Mund, stottert den ersten Buchstaben raus. »Lass dir Zeit«, sagt der 56-Jährige neben ihm auf der Schulbank.

Lesepaten setzen da an, wo Lehrern die Zeit fehlt: In der individuellen, zeitintensiven Förderung. »Kinder, die schlechter lesen als andere, bremsen im regulären Unterricht den Rest der Klasse«, sagt die Leiterin der Herman-Nohl-Schule, Ilona Bernsdorf. Statt zu lesen, hört Hauschild seinen Schützlingen oft auch einfach nur zu. »Die Jungs haben sonst niemanden, bei dem sie ihre Sorgen abladen können«, sagt Hauschild. »Einer hat mich mal gebeten, seinen Handyvertrag zu verlängern. Seine Mutter war damit überfordert.«

Das Förderzentrum der Schule liegt mitten in Neukölln. Hier werden Kindern unterrichtet, die es im normalen Klassenzimmer nicht geschafft haben. Alexander war in fünf Schuljahren zweimal durchgefallen, bevor er an die Nohl-Schule wechselte. Sein türkischer Klassenkamerad Burhan spricht zu Hause nie Deutsch, erzählt er. Bei den Hausaufgaben können seine Eltern ihm gar nicht helfen.

Die Direktorin der Jungs schätzt gerade jene Lesepaten, die aus dem Arbeitsalltag heraus an die Schulen kommen. Teenager aus sozial schwachen Familien bräuchten bodenständige, berufstätige Vorbilder wie Hauschild. »Sie achten, dass er etwas leistet, und strengen sich umso mehr an, ihr Lesen zu verbessern«, sagt Bernsdorf. »Und damit verbessern sich auch ihre Zukunft. Denn wie wollen die Kinder Kleinigkeiten wie das Abheben von Geld am Automaten schaffen, wenn sie nicht lesen können?« dpa

www.vbki.de

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