Intriganten, Schmeichler, Bankrotteure

Im Theaterhaus Mitte ringt man um den »Aufbruch zur Sommerfrische«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich geht es um nichts, das aber kann gesellschaftlich verheerende Folgen haben. Wer im Italien des 18. Jahrhunderts zur Sommerfrische aufs Land fährt, steht in der Pflicht, durch Gäste seine Reputation zu steigern, ob er sich das leisten kann oder nicht. Zwei Bürgerfamilien aus dem provinziellen Livorno können eher nicht. Das elternlose Geschwisterpaar Leonardo und Vittoria ist ebenso blank wie Filippo und seine Tochter Giacinta.

Doch schon scharren Schmarotzer an der Tür, die zur Landpartie eingeladen werden wollen. Und dann ist da noch die Rivalität der zwei Mädchen um die eleganteste neue Robe, ohne die man sich im Sommerort unmöglich zeigen kann, selbst wenn das Geld für den Schneider fehlt. Auch die Kutschen für die Fahrt gibt es beim Posthalter nur gegen Vorkasse.

Das sind die Ingredienzien, aus denen der venezianische Arztsohn, studierte Advokat und Theaterreformer Carlo Goldoni 1754 seine »Trilogie der Sommerfrische« speist. Was schon Giorgio Strehler am Piccolo Teatro di Milano zu einem einzigen Stück von Überlänge raffte, unterzieht Joachim Stargard nochmals einer gründlichen Revision und baut aus der Personnage der Trilogie für sein Theater Reissverschluss den zweistündigen »Aufbruch zur Sommerfrische«.

Aus mehr als 20 Einzelszenen fügt er einen Bilderbogen fieser Intrigen und mieser Schleimerei sowie ehrlicher und vorgetäuschter Liebe, die Sicherheit dem Lebensglück vorzieht. Denn Giacinta liebt nicht den ihr versprochenen Leonardo, sondern den verarmten Adligen Guglielmo, dessen Panzerhände sie zärtlich umfangen. Den findet auch ihre verwitwete Tante Sabina apart, begehrt indes den jungen Nichtsnutz Ferdinando, der einzig auf ihre Ersparnisse spekuliert. Auch eine aufmüpfige Zofe, die dralle Eisenhändlersgattin mit spinnerter Tochter und deren verschüchterter Galan sowie drei extrem unterschiedliche Diener mischen kräftig mit. Da wird geheuchelt und geschmeichelt, belauert, gelogen und gekuppelt, da werden Zweckbündnisse und Verträge geschlossen und wieder gebrochen. Als am Ende ein Vermittler mit künstlichen Pausbacken das Geld für die drei Kutschen zu hohem Zins auftreibt, schaukeln die Belegschaften zwar der Sommerfrische, wohl aber auch ihrem finanziellen Ruin entgegen. Giacinta jedenfalls hat sich längst gegen ihre Liebe Leonardos vermeintlichem Wohlstand verkauft.

Die Leichtigkeit der Commedia dell’arte liegt über Stargards Adaption, der er heutige Sprache untermischt und seiner jungen Mannschaft so den Zugang erleichtert. Wieder besticht seine Inszenierung durch handwerkliche Gründlichkeit: Für jede der Figuren findet er einen eigenständigen gestischen Ausdruck, stattet sie mit tänzerischem, bisweilen akrobatischem Material aus und schafft so unverwechselbare, köstlich schrullige Typen. Besonders zum Schluss hin gelingen ihm präzis gesetzte Dialoge. Darin brillieren Stargards Langzeitaktrice Katja Höppner als Sabina mit überragend souveräner Spielweise, Joshua Grothe als blähungsgeplagter Ferdinando und – ebenso Neuzugang – Donia Masoud-Ansari als exaltierte Vittoria. Mit wenigen Requisiten nur füllen 15 intensive Darsteller die Szene im Theaterhaus Mitte.

Wieder 28.-30.5., 20 Uhr, Theaterhaus Mitte, Koppenplatz 12, Mitte, Kartentelefon 28 04 19 66, weitere Informationen unter www.thbm.foerderband.org

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