Irlands größte Bildungsreform seit 130 Jahren trägt Früchte

Abschlussprüfungen haben oberste Priorität - auf Kosten beständiger Leistungen

  • Nadine Raihani
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Seit der Veröffentlichung der Schulleistungsstudie PISA wird in Deutschland nach den Gründen für das schlechte Abschneiden des deutschen Bildungssystems gesucht. Neidisch blicken manche auf jene Länder, die im PISA-Ranking die Spitzenplätze belegen. In einer kleinen Serie stellt ND das Bildungssystem dieser Länder vor. Heute: Irland.

Irlands Minister für Bildung und Wissenschaft Michael Woods zeigte sich hoch erfreut über die Ergebnisse: »Dieser Report ist ein großer Auftrieb für die Bildung in Irland... er zeigt, dass unsere Bemühungen sich langsam auszahlen...«. Viertausend 15-Jährige an 139 irischen Schulen nahmen letztes Jahr an der PISA-Studie teil. Von 28 Ländern erzielte Irland den fünften Platz in der Lesekompetenz. Auch in der Naturwissenschaft lieferten Irlands Studenten gute Resultate ab. Mit der »Education Bill« hatte Irland 1997 die größte Bildungsreform in den letzten 130 Jahren eingeleitet. Zum ersten Mal wurden Struktur und Verwaltung des Schulsystems gesetzlich festgelegt. Die Rollen aller Mitwirkenden wurden somit genau vergeben. Ein Ziel der Reform war die Förderung der Ursprache in den Schulen. Eine Untersuchung von 1996 zeigte, dass nur 1,43 Millionen Iren (43 Prozent der Bevölkerung) ihre Herkunftssprache Gaelscoileanna beherrschen. Bei den Schülern sah es noch am besten aus: Zwei Drittel aller 10-19-Jährigen können die Sprache. Ein wichtiges Ziel des neuen Gesetzes war es, den Schulen finanzielle Unterstützung zu gewährleisten und gleichzeitig eine langfristige Partnerschaft zwischen den Bildungsvorständen und Schulen aufzubauen. Von der bewussten Investition der irischen Regierung im Bildungsbereich profitierten besonders die Schulen und Hochschulen. Um Bildung »auf den neusten Stand zu bringen«, bekamen Bildungseinrichtungen einen großzügigen Anteil vom jährlichen Budget zugewiesen. 1999 sollen es geschätzte 2,6 Milliarden irische Pfund gewesen sein, 2000 soll die staatliche Investition zum ersten Mal die Drei-Milliarden-Grenze überschritten haben. Die guten Ergebnisse auf den Gebieten der Lesekompetenz und Naturwissenschaften zeigen eine positive Seite der Investition. Allerdings lieferten irische Schüler im Bereich der Mathematik ein weniger positives Resultat ab. Der Mittelwert der Iren war nicht erheblich höher als der Durchschnitt anderer OECD-Länder. Dies weist auf eine Bildungslücke in bestimmten Fächern hin. Die Iren stehen, was schwache Matheleistungen angeht, nicht alleine da. Dieser Trend zeigte sich bei PISA in mehreren Ländern. Auch das alte Klischee, Jungs seien in Mathe besser als Mädchen, scheint (zumindest was die Schulbildung betrifft) immer mehr der Realität zu entsprechen. Der wesentliche Unterschied zum deutschen Schulsystem ist die gesamtschulartige Bildungsform Irlands. Nach der Grundschule trennen sich die Bildungswege der Schüler. In Irland stehen nach der Grundschule vier Arten von Oberschule zur Wahl: Secondary, Vocational, Community oder Comprehensive Schools. Secondary Schools sind Privatschulen, zum Teil in kirchlicher Trägerschaft. Mehr als 60 Prozent der irischen Schüler besuchen eine solche Schule. In den meisten Schulen entfällt eine Gebühr. Wo dies nicht der Fall ist, hängen die Kosten von der Einrichtung ab. Manche exklusive Schulen sind bei der Wahl ihre Studenten sehr selektiv. Da kann ein Auswahlprozess unübersichtlich und kurios erscheinen. Bei den staatlichen Einrichtungen gibt es keine Gebühr. Comprehensive oder Community Schools sind für Schüler gedacht, die eine praktische Ausbildung vorziehen. Dieser Prozess unter dem Titel Junior Cycle (vergleichbar mit der deutschen Sekundarstufe I) geht über drei Jahre mit abschließender Prüfung. Nach erfolgreichem Abschneiden kann der Schüler sich entweder für ein Übergangsjahr entscheiden oder sofort mit dem Senior Cycle beginnen. Dieser umfasst weitere drei Jahre und endet mit dem »Leaving Certificate Exam«. Jährlich melden sich rund 130000 irische Schüler für die Abschlussprüfung an. Um teilnehmen zu können, muss erst eine Gebühr von rund 65 Euro entrichtet werden. Irlands Schulsystem ist auf examinierbares Schulwissen ausgerichtet. Jugendliche müssen früh lernen, mit den hohen Ansprüchen der Schulbildung klarzukommen. Der Stressfaktor ist groß, das Prüfungsverfahren starr und unflexibel gegenüber unvorhersehbaren schulischen oder persönlichen Umständen. Examen werden ernst genommen, denn eine beständig gute Leistung im Unterricht hat einen geringeren Wert als die Abschlussprüfung. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern zählt am Ende der Sekundärstufe nur dieses Resultat. Die Bestimmungen werden von außen festgesetzt, die einzelnen Lehrer einer Schule haben wenig Einfluss. Schüler haben zum Teil große Probleme, mit dieser anonymen Vorgehensweise umzugehen. Die unpersönliche Bewertung der schulischen Leistung hat mit Irlands vernetzten Bildungs- und Wirtschaftsstrukturen zu tun. Die Schulbildung des Inselstaates wird praktisch am Fließband produziert. Und zwar ganztägig. Bei PISA fiel auf, dass die bestplatzierten Länder Ganztagsschulen haben. Zudem müssen Kinder dieser Länder mindestens bis zum 15., die meisten in der Regel bis zum 16. Lebensjahr zur Schule gehen. Irland gehört zu den wenigen Ländern, in denen Schüler schon mit 15 von der Schule gehen dürfen. Allerdings wird sich das auch bald um ein Jahr hinausschieben. Irland hat langsamer als andere europäische Länder die Integration von Technologie im Bildungsbereich vorangetrieben. Deshalb startete die »Schools IT 2000« eine Initiative, um den Computer in der allgemeinen Schulbildung zu verwurzeln. Die Regierung begründete die Investition mit der Feststellung, man lebe schließlich in einer Informationsgesellschaft, gerade Schüler sollten früh lernen, die universale Computersprache zu sprechen. Rund 50 Millionen Euro wurden von der Regierung in das Bildungssystem investiert, mit dem Ziel, eine langfristige Infrastruktur zu schaffen, die es allen Schülern ermöglicht, Zugang zu einem Computer zu haben. Computerkenntnisse spielen eine immer wichtigere Rolle auf dem Weg zu wirtschaftlichem Erfolg. Deshalb steuerte Eircom (Irlands führende Kommunikationsgesellschaft) dem Projekt etwa 19 Millionen Euro bei, mit dem Versprechen, jeder Schule einen Computer mit kostenlosem Internetanschluss zu garantieren. Auch IBM investierte eine Million Dollar in ein ähnliches IT-Projekt. Auch die EU versucht mit ihrer »eLearning Initiative« den Übergang europäischer Bildungsanstalten zum digitalen Zeitalter zu beschleunigen. Dazu gehört auch das Training der Lehrer in digitaler Technologie. In vielen Ländern Europas fehlen noch fähige Fachkräfte, um de...

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