»Aberwitzige« Stasi-Debatte

SPD und CDU zanken über Polizisten mit MfS-Vergangenheit / Minister: Keine neue Überprüfung

  • Lesedauer: 3 Min.

Potsdam (dpa/ND-Neiße). Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) lehnt eine neuerliche generelle Stasi-Überprüfung der Polizei ab. Diese sei gesetzlich auch nicht möglich, sagte Schönbohm gestern nach der Kabinettssitzung. »Wir werden allerdings in Einzelfällen noch einmal genauer hinsehen.« Nach der Wende wurden 242 hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter in den Polizeidienst übernommen. 201 von ihnen seien noch im Amt und würden nun geprüft. Als Konsequenz seien Versetzungen möglich. Ehemalige inoffizielle Stasi- Mitarbeiter würden nur bei neuer Faktenlage geprüft. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagte, es gehe nicht um juristische Schritte.

Während die Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Saskia Funck, auf einer neuerlichen Überprüfung beharrte, nannte ihr SPD-Amtskollege Günter Baaske die Debatte »aberwitzig und schädlich«. Ihm sei auch nicht klar, warum sie überhaupt geführt wird, sagte Baaske. Jedenfalls sehe er dafür keine neuen Erkenntnisse.

Der frühere Innenminister Alwin Ziel (SPD) verteidigte die Überprüfungspraxis Anfang der 1990er Jahre. Man habe seinerzeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Dem Innenministerium zufolge wurden nach der Wende 242 hauptamtliche und 1238 inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in der brandenburgischen Polizei festgestellt. Rund 600 seien aus dem Dienst entfernt worden. Nach Medienberichten waren in der unabhängigen Kommission (»Bischofskonferenz«), die Anfang der 1990er Jahre über den Verbleib der früheren Stasi-Mitarbeiter Empfehlungen aussprechen sollte, selbst frühere Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Ehemalige Stasi-Mitarbeiter unter den Polizisten seien offensichtlich nicht auf Grundlage von Akten der Gauck-Behörde beurteilt worden, sagte Funck. Am Vortag hatte der CDU-Landesvorstand einstimmig eine Überprüfung aller Polizisten mit »Stasi-Hintergrund« verlangt. Funck rechtfertigte den Vorstoß ihrer Partei 20 Jahre nach der Wende mit dem Hinweis: »Aufarbeitung braucht ihre Zeit.« Diese sei auch erst mit einem gewissen Abstand möglich. Die Kommission zur Überprüfung der Polizisten sei aber bereits am 13. Dezember 1990 vom Landtag eingesetzt worden. Es werde mit der CDU keinen »Schlussstrich« geben, betonte die Fraktionschefin.

Dazu bemerkte der damals verantwortliche Minister Ziel: »Wir wollten möglichst schnell sein.« Bei der Kommission habe es sich um ein »honoriges« Gremium gehandelt, das kritisch geprüft habe. Sein Votum habe für ihn entscheidendes Gewicht gehabt. Die Bezeichnung »Bischofskonferenz« erhielt die Kommission später wegen der in ihr sitzenden Kirchenvertreter. Ziel unterstrich: »Wir haben mit großer Sorgfalt gearbeitet« – und das in enger Abstimmung mit dem Verfassungsschutz. »Die gesamte Polizei jetzt so zu verunsichern, halte ich für sehr sehr daneben«, meinte er.

Der Abgeordnete Andreas Bernig (Linkspartei) wies darauf hin, dass die heute im Zwielicht der Medien stehende »Bischofskonferenz« bei der Bewertung eventueller MfS-Kontakte nicht das Entscheidende gewesen sei. Nach ihrer Empfehlung habe bei den Polizisten mit Stasi-Kontakten die eigentliche Überprüfung durch die Gauck-Behörde in dem Moment eingesetzt, als sie in das Beamtenverhältnis übernommen werden sollten.

»Die Polizisten sind überprüft«, wehrte sich Berning gegen die Idee, alle Beamten noch einmal zu durchleuchten. Außerdem gebe es rechtliche Hürden sowie Verjährungsfristen. Anders lägen die Dinge, wenn neue Erkenntnisse eine grundsätzlich neue Bewertung eines Einzelfalles nahe legen würden. Berning warb eindringlich dafür, Augenmaß walten zu lassen. Neben den Dingen, die gegen einen Menschen sprechen, müssten auch Tatsache gewürdigt werden, die ihn entlasten. Und eine 20-jährige tadellose Arbeit als Polizist gehöre dann auch in die Abwägung.

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