Ein Hörmuseum auf der Straße

Stimmen aus dem alten Friedrichshain berichten vom Alltag in der DDR

  • Catrin Watermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Alltagsgeschichten aus der DDR kommen für einen Monat auf die Straße: Fünf orange Hörstationen laden zum Lauschen ein. Kinder und Jugendliche aus Kreuzberg und Friedrichshain haben Zeitzeugen befragt und lernten so Geschichte aus erster Hand.

»Gab es in der DDR auch so einen Mc Donald’s wie jetzt?«, will Zoe wissen. Dass es in der Deutschen Demokratischen Republik keine Big Macs gab, dafür aber Punks, wissen die Schülerinnen und Schüler der Freien Schule Kreuzberg jetzt. Die Interviews mit elf Menschen aus Friedrichhain sind derzeit auf den Straßen des Bezirks zu hören. Ein Knopfdruck und ihre Stimmen ertönen aus den kleinen Lautsprechern aus Metall, die an Laternen befestigt sind. So erzählt Tinita Süveges von ihren Erlebnissen als Punkerin in Ost-Berlin oder Edeltraut Pohl, Küsterin in der Samariterkirche, berichtet von den legendären Blues-Konzerten.

Die Klassen 4 bis 6 der Freien Schule Kreuzberg, die Klasse 9b der Georg-Weerth-Oberschule und die »Stadtdetektive« aus dem Regenbogenhaus in der Kadiner Straße haben an dem Projekt teilgenommen und so viel über den Alltag in der DDR erfahren. Die Fragen der Kinder und Jugendlichen sind oft überraschend für ältere Hörer, denn sie stellen andere Fragen als Erwachsene. So holt der Hörspaziergang die alten Zeiten in einem etwas anderen Blickwinkel zurück.

Der 82-jährige Joachim Wagner, der 40 Jahre lang im Glühlampenwerk an der Oberbaumbrücke gearbeitet hat, war das erste Mal in seinem Leben Zeitzeuge und hat den jungen Reportern der Klasse 9b der Georg-Weerth-Oberschule gern Auskunft gegeben. »Die wollten nicht nur wissen, was ich am Tag des Mauerfalls gemacht habe, sondern haben vernünftige Fragen gestellt«, konstatierte der weißhaarige Herr zufrieden bei der gestrigen Eröffnung in der Rotherstraße. »Sie haben zum Beispiel gefragt, warum Narva eigentlich ein Frauenbetrieb war.« Die Jugendlichen waren auch gut vorbereitet, zusammen mit ihrer Geschichtslehrerin haben sie die Fragen vor den Treffen erarbeitet.

»Meine Schüler sind so um die 15 Jahre alt, für sie ist die DDR noch nicht so weit weg, sie wissen einiges von ihren Eltern«, meinte Ulrike Stanicki bei der Veranstaltung. Alle hätten mit großer Begeisterung an dem Projekt teilgenommen, weil Geschichte nicht aus einem Buch, sondern von einem Menschen vermittelt worden sei, so die Lehrerin.

»Die Hörboxen sollen über die Zeit erzählen, als die Häuser hier noch grau und nicht alle schick und pastellfarben waren«, erklärt Tim Zülch von der Medieninitiative die »praxis« die Ausgangsidee. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Diana Engel und Kerstin Ewald hat der Journalist das Projekt angestoßen und organisiert. Das Kulturamt des Bezirks und der Fond Soziokultur e.V. haben sie dabei finanziell unterstützt. Die fünf orangefarbenen Metallkästen mit den knapp zehnminütigen Hörstücken lassen sich bis zum 9. Juli finden.

Rotherstraße/ Ecke Naglerstraße, Warschauer Straße gegenüber Helsingforser Straße, Boxhagener Platz, an der Plansche, Samariterkirche, Haupteingang, Samariterstr. 27, Regenbogenhaus, Kadiner Straße 9.

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