Nach bestem Wissen alles versucht

Vor 90 Jahren wurde Eugen Leviné in München ermordet

  • Rolf Höller
  • Lesedauer: 4 Min.
Eugen Leviné / Protestannonce der KPD
Eugen Leviné / Protestannonce der KPD

»Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub«, gab sich der Angeklagte im Münchner Hochverratsprozess pessimistisch. Zu den Richtern gewandt meinte er: »Ich weiß nicht, ob Sie mir meinen Urlaubsschein noch verlängern werden, oder ob ich einrücken muss zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.»

Eugen Leviné war in Marxens Todesjahr in Russland geboren und seit dem 30. Lebensjahr deutscher Staatsbürger. Der Doktor der Volkswirtschaft und Weltkriegsteilnehmer hatte großen Anteil an der Gründung von Spartakusbund und KPD. Seitdem war er im Auftrag der Partei als Berufsrevolutionär unterwegs: In Braunschweig wirkte er beim Versuch mit, eine rote Räterepublik zu errichten; im oberschlesischen Kohlerevier half er bei der Organisation eines Arbeiteraufstands.

Am 5. März 1919 kam Leviné nach München. Dort bekämpften sich Anhänger der Rätebewegung und der gemäßigten Sozialdemokratie. Letztere stellten im Nachkriegsbayern, wo konservative Parteien wenig zu melden hatten, den Ministerpräsidenten. Dessen Einfluss war südlich der Donau, vor allem in der von der Arbeiterschaft dominierten Landeshauptstadt, jedoch äußerst gering. Hier herrschte der Rätegedanke vor, und mit der Errichtung der ersten rein dem politischen Basisprinzip geschuldeten Republik in München floh Johannes Hoffmann ins oberfränkische Bamberg. Sein Kabinett nahm er gleich mit.

So konnte der Ministerpräsident im Exil nicht Zeuge des rechten Gegenputsches am Palmsonntag werden, der die hauptsächlich von Anarchisten gebildete Erste Räterepublik zum Aufgeben zwang. Auch das darauf folgende Osterfest durfte Hofmann nicht in München erleben: Es bescherte Bayern eine zweite Räterepublik. Dieses Mal gaben Kommunisten den Ton an, und Leviné stand an ihrer Spitze.

Nicht nur in Berlin, auch in Moskau, Budapest und Wien war man auf die Münchner Ereignisse aufmerksam geworden. Lenin schickte telegrafisch seine besten Wünsche, verbunden mit Tipps, wie man durch straffe Organisation – inklusive Geiselnahme von Klassenfeinden – der Revolution zum Sieg verhalf. Bela Kún, der in Ungarn eine Räterepublik gegründet hatte, beließ es bei Glückwünschen. Und die österreichischen Sozialdemokraten? Glaubten an keine Weltrevolution und sagten ab: Sie wollten es sich weder mit Berlin verderben noch mit den Weltkriegsalliierten, die auf kommunistische Verschwörungen allergisch reagierten.

So fanden sich Leviné und Genossen bald auf sich allein gestellt wieder, die hoffnungsvoll geplante Revolution verkam zu einem Sozialexperiment. Immerhin war es eins mit Signalwirkung. Dafür sorgten schon die über tausend Toten, die nach der Niederschlagung der Räterepublik durch die Reichswehr (deren zuständiger Minister Sozialdemokrat war) und rechtsgerichtete Freikorps zu beklagen waren. Auch die zehn im hauptstädtischen Luitpoldgymnasium erschossenen Geiseln – alle gehörten der Thule-Gesellschaft an, die bereits Ideen der späteren Nationalsozialisten anhingen – waren der Aufmerksamkeit revanchefreudiger Revolutionsgegner nicht entgangen.

Leviné tauchte nach dem Fall Münchens zunächst unter. Das rettete ihn vor dem Zorn der Freikorps, doch nicht vor der Rache der Richter. Besser sollte es den Genossen Erich Mühsam und Ernst Toller ergehen. Auch sie waren führende Akteure der Räterevolution, wurden allerdings zu einem Zeitpunkt gefasst, als sich die politische Stimmung in Bayern milderte. Beide kamen mit langer Festungshaft davon.

Noch aber war für Leviné trotz der Voreingenommenheit der Herren in Schwarz nicht alles verloren. Zwar wurde das erwartete Todesurteil verkündet, doch regte sich im Rest der Republik wie auch im Ausland heftiger Protest gegen die Prozessführung. Selbst nach dem Richterspruch ruhten die Aktivitäten nicht: Albert Einstein, der einflussreiche Publizist Maximilian Harden, der USPD-Vorsitzende Hugo Haase und sogar Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann telegrafierten nach Bamberg, um eine Begnadigung zu erwirken. Allerdings konnte sich das sozialdemokratische Regierungsoberhaupt zu einem solchen Schritt nicht entschließen.

So endete Levinés Leben am 5. Juni 1919 unter den Kugeln eines Exekutionskommandos im Gefängnis Stadelheim. Wie es sich für einen Revolutionär gehört, starb er mit dem Ruf »Es lebe die Weltrevolution!« auf den Lippen. Gescheitert zwar, doch guten Gewissens übertrat das Opfer seiner Ideale und einer übereifrigen Justiz die Schwelle in jenes andere Reich, in dem seit dem 15. Januar Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf ihn warteten. »Wir haben alle versucht«, resümierte Eugen Leviné in seiner Verteidigungsrede, »nach bestem Wissen und Gewissen unsere Pflicht zu tun gegenüber der Internationalen und der kommunistischen Weltrevolution.«

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