Der Blick aufs liebe Vieh

Im Kolbemuseum erforschen Künstler »Tier-Perspektiven«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.
Das arme Schwein »Linda« wurde – noch zu Lebzeiten – von Wim Delvoye tätowiert.
Das arme Schwein »Linda« wurde – noch zu Lebzeiten – von Wim Delvoye tätowiert.

Das Darwin-Jahr ehrt den Begründer der Evolutionstheorie und lenkt den Blick, 150 Jahre nach Erscheinen seines Werks »Über den Ursprung der Arten«, auch auf das Tier. Während die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Kreuzberg gerade zeitgenössische Auseinandersetzungen mit dem dualen Thema »Tier-Werden, Mensch-Werden« zeigte, hat sich das Georg-Kolbe-Museum kaum weniger irritierend der »Tier-Perspektiven« angenommen. Ein gutes Dutzend internationaler Künstler verhält sich zum eigenen oder fremden Tier, begibt sich in seine Perspektive, befragt oder verwischt Grenzen.

So transplantiert Thomas Grünfeld in seinem Exponat der Serie »Misfit« einen Dachskopf auf ein Lamm, bringt zusammen, was weder zusammengehört noch überlebensfähig wäre, verwandelt ausgestopfte Natur in ein Kunstobjekt. Ähnlich verfährt die Österreicherin Deborah Sengl: Ihr fletschender Wolf tarnt sich im Schafsfell, imitiert und täuscht damit sein Beutetier. Humor bringt die Londonerin Edwina Ashton ein. Ihr »Mönchsvogel« lässt aus grauer Socken-Kutte einen papiernen Spitzschnabel ragen; in »Very nice couple« begattet ein sackleinernes Wesen ein in rosiger Strumpfhose steckendes vogelartiges Langbein aus dünnem Schaumstoff.

Ina Sangenstedt positioniert auf dem Boden eine bronzene Kröte, in deren transparenten Schallblasen menschliche Backenzähne liegen: eine wohl getarnt ketzerische Reliquie. Filmt der Brasilianer Hugo Fortes in weißen Linien seinen Langhaardackel, so lässt sich die Australierin Catherine Bell aufnehmen, wie sie ein Baby-Ferkel mütterlich säugt, badet und kämmt. Ob darin »nur« Tierliebe oder auch ein Gleichnis auf weniger behütete Menschenkinder widerscheint, bleibt offen.

Inwieweit man Wim Delvoyes noch lebend tätowiertes, nach dem Tod präpariertes Schwein »Linda« goutieren muss, steht ebenso in Frage wie Katharina Moessingers »Hansi«, der auf dem Rücken verendete, konservierte, nun im Originalkäfig ausgestellte Wellensittich. Wie sehr Mensch und Tier in ähnlicher Situation sein können, macht die Britin Chloe Brown deutlich. Beide, die ausgestopft auf Bodenniveau stehende weiße Maus und der Mensch, müssen den Blick heben, wollen sie den bedrohlich über ihnen schwebenden schwarzen Wolken-Ballon im Auge behalten.

Den stärksten Eindruck hinterlassen zwei ohne jede Tierpräparation auskommende Kunstwerke. In Susanne Starkes gipserner Plastik »Brüderchen und Schwesterchen« vollzieht sich ein im Grimm-Märchen beschriebener Moment: Beim Trunk aus verwunschener Quelle wird der Knabe zum Reh; nur eines der vier Beine ist noch menschlich. In Mariel Poppes Skulptur »Ringkämpfer« schließlich haben zwei bienenwachsene Fabelwesen zwischen Echse und Mensch einander ihr Gehörn tödlich tief in die Flanken gerammt und stehen im Gleichgewicht der Kräfte: ein aus allen Sehwinkeln skurriler, dabei atemberaubend dramatischer Augenblick.

Weniger spitzfindig blicken in einer zweiten Ausstellung bei Kolbe Bildhauer des 20. Jahrhunderts auf das Tier. »Bestiarium« vereint vom Hausgenossen bis zum Exotikum mancherlei Tierarten und zeigt unterschiedlichstes Verhalten zu ihnen: von der naturgetreuen Nachbildung bis zur Abstraktion, vom Umriss als lediglich blank polierter Form bis zur realen Fellstruktur. Meistern wie August Gaul, Fritz Behn, Renée Sintenis, Gerhard Marcks, Emy Roeder, Waldemar Grzimek, Ewald Mataré, Edwin Scharff verdankt sich ein Genuss in 109 Exponaten.

Bis 21.6., Di.-So. 10-17 Uhr, Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Charlottenburg, Telefon 304 21 44, weitere Infos unter www.georg-kolbe-museum.de

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