»Das wird schon irgendwann besser«

Wirtschaftskrise erreicht Werkstätten für behinderte Menschen / Umsatzrückgang von bis zu 30 Prozent

  • Anja Sokolow, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wirtschaftskrise hat auch Berliner Behindertenwerkstätten erreicht. Besonders betroffen sind Zulieferer für die Industrie. Das hat eine dpa-Umfrage in verschiedenen Einrichtungen und bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen ergeben. Der Vorsitzende des Zusammenschlusses und Geschäftsführer der Lankwitzer Werkstätten, Klaus Leonhardt, sprach von Umsatzrückgängen von durchschnittlich etwa 20 bis 30 Prozent in einzelnen Bereichen. Die Handwerks- und Dienstleistungsbranche sei hingegen weitgehend verschont geblieben.

Von einem besonders »massiven Einbruch« an Aufträgen im Bereich der Industriezulieferung berichtet der Geschäftsführer der Mosaik Services Integrationsgesellschaft, Frank Jeromin. Die Aufträge für die Autoindustrie seien im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent zurückgegangen. Die etwa 40 betroffenen Mitarbeiter, die bislang Spezialwerkzeuge verpackten, würden nun größtenteils mit anderen Aufgaben beschäftigt. In anderen Arbeitsbereichen des 1400 Mitarbeiter zählenden Unternehmens wie der Gastronomie und dem Handwerk herrsche hingegen keine Krisenstimmung.

Umsatzrückgänge in einzelnen Bereichen verzeichnet auch die Werkstatt für Behinderte der Vereinigung für Jugendhilfe. Nach Angaben von Geschäftsführerin Christa Weber seien die Aufträge in der Metallbearbeitung, Montage und Verpackung für die Industrie um 20 Prozent zurückgegangen. Für die sinkenden Umsätze gebe es keinen Puffer. »Wir müssen daher die Löhne senken«, sagte Weber. Um die Mitarbeiter auch in Zeiten leerer Auftragsbücher sinnvoll zu beschäftigen, würden Weiterbildungen organisiert und handwerkliche Fähigkeiten trainiert. Betroffen sind aber auch hier längst nicht alle der 530 Mitarbeiter. »Im Bereich der Dienstleistungen verzeichnen wir positive Tendenzen«, sagte die Geschäftsführerin.

Diese gibt es auch in den Lankwitzer Werkstätten. »Im Gartenbau, unseren Fahrradläden und bei der Essensversorgung in Kindertagesstätten haben wir Umsatzsteigerungen erzielt«, berichtete Geschäftsführer Klaus Leonhardt.

17 Träger von Werkstätten für behinderte Menschen haben sich in der Landesarbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Der Verbund will die Zusammenarbeit der Einrichtungen fördern. In den mehr als 80 Betriebsstätten arbeiten rund 7400 Menschen mit Behinderungen. Im Jahr 2007 erwirtschafteten sie einen Gesamtumsatz von rund 25 Millionen Euro. Der Verein geht nicht von einer Bedrohung der Werkstätten durch die Wirtschaftskrise aus: »Wir kommen da durch. Das wird schon irgendwann besser werden«, sagte Leonhardt.

Wer rechtzeitig umgesattelt habe und nicht nur von einem großen Auftraggeber abhängig sei, könne die Krise gut überstehen, sagte Wolfgang Grasnick. Er ist Leiter der Union sozialer Einrichtungen, in denen vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen arbeiten. In Berlin sei die Lage durch das breite Angebot der einzelnen Werkstätten weitaus besser als im süddeutschen Raum. Dort seien viele Einrichtungen von großen Autoherstellern abhängig. »Berlin ist mit einem halbblauen Auge davongekommen«, sagte Grasnick, dessen Werkstätten mit 25 verschiedenen Tätigkeitsfeldern »ganz gut aufgestellt« seien.

Eine Folge der Wirtschaftskrise bleibe aber auch in der Hauptstadt nicht aus. »Europaweit gibt es einen ungebrochenen Zuwachs an psychosomatischen Erkrankungen«, sagte der Psychologe Grasnick. »Je stärker die Arbeitslosigkeit und der Druck auf dem Arbeitsmarkt sind, desto mehr Menschen erkranken.« Somit steige auch die Zahl der Menschen, die Hilfe benötigen.

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