Erinnerung an die Gegenwart

Deutsches Nationaltheater Weimar: »Gefährliche Menschen« von Jörg-Michael Koerbl

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

So richtig gefährlich sind sie nicht, diese Menschen in Jörg-Michael Koerbls gleichwohl so benanntem Stück. Gefährdete Menschen würde die Sache besser treffen. Das Stück des 1950 in der Altmark Geborenen entstand in der DDR; 2002 war der Autor für ein paar Jahre in die Karibik, nach Martinique, ausgewandert, ein Allrounder, der schon so gut wie alles gemacht hat, was man für die Bühne und auf der Bühne so machen kann.

Ein Stück also fünf Jahre vorm Untergang des Staates. Und vom Untergang ist auch gleich am Anfang die Rede, wenn der Erfolgsautor Bernhard (Stephan Szász) mit der attraktiven Schauspielerin Franziska (Ulrike Knobloch) in seinem Wochenendhaus eintrudelt und dem beabsichtigten Seitensprung ein paar tiefsinnige Gedanken vorausschickt: »Ich glaube fest an eine allgemeine Katastrophe.« So fängt das Stück an. Und dann geht es doch erst mal um den Kühlschrankinhalt. Am Ende ist die Katastrophe dann wirklich da, aber anders als vorhergesagt: Bernhards Sohn Georg (Nico Delpy) und dessen Freundin Antonia (Marie Burchard) haben sich nach einer hemmungslosen Liebesnacht umgebracht. Da geht die Selbstfindungs-Landpartie, die wie so eine Art Second-Hand-Tschechow begann, unter dem Schlag der Liebestodkeule endgültig zu Boden.

Mag sein, dass in dieser Zukunftslosigkeit ausgerechnet der beiden Jungen im Stück, jene Perspektivlosigkeit der DDR aufscheint, in deren stagnierendem Umfeld es entstand. Der dunkel visionäre Junglyriker, dessen Talent nicht nur dem Vater und dessen Kollegen Maximilian (Andreas Schröders), sondern vor allem dem Lektor Dr. Schirmer (Markus Fennert), durchaus dämmerte, hätte zur Wende mit Ende Zwanzig noch alle Chancen gehabt, zum orakelnden Szenestar einer saturierten Bürgerlichkeit zu werden. Das restliche, ältere Personal wird wohl ewig so weitermachen. Alten Träumen nachhängen und neuen Seitensprüngen nachjagen. Und den anderen die Schuld an verlorenen Illusionen geben.

Bei all den gegenseitigen Verletzungen, dem Aufbrechen von Verborgenem, dämmert dem Zuschauer mit der Zeit immerhin die Erkenntnis, dass die Gesellschaft, in der und für die das Stück geschrieben wurde, auf eine erschreckend normale Weise viel »moderner«, sprich heutiger, kälter, entfremdeter war, als es mancher in der Rückschau wahrhaben will.

Das jetzt auf der Hinterbühne des Deutschen Nationaltheaters uraufgeführte Stück hat also nur wenig von einer DDR Reminiszenz. Dennoch springt ihm Regisseurin Claudia Meyer mit einem motorischen Furor bei, als würde sie diesen Verdacht unter allen Umständen vermeiden wollen. Der mitunter etwas allzu stilisierten Sprache Koerbls bekommen die Verfremdung und das Tempo durchaus. Zum Glück überlagern aber das permanente partnerschaftliche Bodenturnen, das aufgesetzt wirkende Spiel mit den Tiermasken und auch der scheinbar unvermeidliche Einsatz von Bierbüchsen nicht gänzlich das kühl Atmosphärische des sterilen Röhrenwaldes, den Claudia Meyer und Nicola Schmid aufstellten.

Einmal versuchen Georg und Antonia einfach, zu gehen. Doch da sind alle Türen fest verschlossen. Sie entkommen nur auf einen Beleuchtergang, ganz oben im Schnürboden. Mit ihren beiden schnell verlöschenden Wunderkerzen. Dass sie ganz am Ende als blutverschmierte Leichen für einen Moment aus der Versenkung auftauchten, bremste den Beifall des Premierenpublikums für eine Schrecksekunde aus.

Nächste Vorstellung: 11. 9.

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