Die SED hatte manchmal Recht

Matthias Krauß entdeckt Wahres in der Agitation der Partei / Heute stellt er sein Buch in Potsdam vor

Das Werk des Dichters Louis Fürnberg in allen Ehren, doch mit der Liedzeile von der Partei, die immer Recht habe, lag er einfach daneben. Selbstverständlich hatte die SED nicht immer Recht. Auch wer gegen Lüge und Ausbeuterei kämpft, muss nicht automatisch das Richtige tun, denn er wählt vielleicht nicht immer die richtigen Mittel.

Aber – man sollte es kaum glauben – mitunter hatte die SED wirklich Recht – so jedenfalls lautet das Urteil des Potsdamer Journalisten Matthias Krauß. Und deshalb wählte er als Titel für sein neues Buch: »Die Partei hatte manchmal Recht.«

Der Autor klopft sowohl die damalige Wirklichkeit als auch die Agitation und Propaganda daraufhin ab, ob sie nicht hier und da etwas Gutes und Wahres enthielten. Und er stellt fest, dass es genau so ist, weil es gar nicht anders sein konnte. Trotz der enormen Defizite dieses Staates. Denn: »Die Vorteile der DDR ergaben sich vielfach aus ihren Nachteilen. Und umgekehrt«.

Heute um 18 Uhr stellt Matthias Krauß sein Buch im Wahlquartier der Linkspartei im Potsdamer Hauptbahnhof vor. Auf einem Territorium gegründet, das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört wurde, gebeutelt von hohen Reparationsleistungen und angebunden an den zunächst agrarisch geprägten Ostblock, waren die Startbedingungen der DDR weitaus schwieriger als die der Bundesrepublik. Daran gemessen könne die Aufbauleistung der DDR kaum überschätzt werden, so Krauß. Dieser Staat setzte Industriebetriebe in Regionen, wo die Menschen vorher selten einen anderen Beruf ausüben konnten als den des Landarbeiters. In vielen davon blühen heute allenfalls noch die Blumen. Gerade weil der 1990 einsetzende Rückfall in ein vorindustrielles Stadium in jenen Gegenden so ins Auge sticht, bemühen sich unsere Regierenden und ihre Journalisten wütend, die DDR ausschließlich in den düstersten Farben zu malen.

Krauß lobt die Errungenschaften in Volksbildung und Kultur. Er erinnert sich zum Beispiel daran, wie an einem trüben Morgen auf einer Bühne an der sowjetischen Erdgastrasse ein Duo des Berliner Friedrichstadtpalastes Couplets für die Bauarbeiter der Nachtschicht trällerte. Der Autor macht keinen Hehl daraus, dass ihm diese Situation damals albern vorkam, doch gesteht er in der Rückschau, die DDR habe sich sogar am fernen Ural um die kulturelle Erbauung ihrer Bürger gekümmert. Dankbar denkt Krauß daran, wie billig die Klassiker im Theater zu erleben, im Buchladen zu erstehen waren. Dass in der DDR alte Nazis nicht in wichtige Positionen aufstiegen, bleibt ihm sympathisch.

Matthias Krauß hat sie nicht vergessen, die Solidarität mit Staaten wie Mosambik, Nikaragua und Angola. Bei ihm zu lesen ist von der vietnamesischen Stadt Vinh. Diese Stadt hatten US-amerikanische Bomber und Kriegsschiffe dem Erdboden gleich gemacht. Ab 1974 wurde Vinh mit Unterstützung aus der DDR neu aufgebaut. In Vietnam sieht Krauß bei einer Reise Lastwagen der in Ludwigsfelde hergestellten Marke W 50. Bei ihm ist zu lesen, dass Vietnam der DDR auch dafür danken kann, dass es heute ein Kaffeeexporteur ist. »Und mich beschleicht bei alledem ein Gedanke, für den sich manche daheim schämen würden: Vielleicht hat es ja doch gelohnt.«

Der Autor lässt sich nicht ein auf billige Nostalgie, auf Begeisterung für Ostrock oder das Ampelmännchen. Das sei unter seinem Niveau, erklärt er ausdrücklich und hält sich an die Politik, wie sie in all ihren Facetten das Leben der Menschen tief geprägt hatte. Zwar heiße es heute offiziell, wenn Menschen in der DDR glücklich waren, dann nur trotz SED. Aber stimmt das wirklich? Vollbeschäftigung trotz SED? Soziale Sicherung trotz SED? Mindestrenten trotz SED? Krauß: »Es ist zu komisch!«

Am Ende überrascht die Einsicht, welch tolle Seiten dieser verblichene Staat doch gehabt haben muss. Zu Beginn des Buches zieht Krauß einen Vergleich zwischen der DDR und dem Wunderstaat »Utopia« des Thomas Morus. Dieser katholische Lordkanzler wollte im 16. Jahrhundert die »beste aller Welten« ausmalen. Verblüfft nimmt der Leser zur Kenntnis, dass es gute Gründe zur Annahme gibt, die DDR sei »besser als die beste aller Welten« gewesen. Und eine Reisefreiheit im heutigen Sinne kannte auch »Utopia« nicht.

Eine undifferenzierte Sicht darf der Leser jedoch nicht erwarten. Krauß nennt auch die schwerwiegenden damaligen Nachteile, rügt durchaus fehlende Freiheiten. Eben: »Die Partei hatte manchmal Recht« – manchmal!

Matthias Krauß: Die Partei hatte manchmal Recht«, Dietz, 221 Seiten (brosch.), 14.90 Euro

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