2,2 Kilogramm Fußballgeschichte

Von Groundhoppern, alten Rivalen und Ballsport im Sozialismus

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Urlaubszeit – fußballfreie Zeit? Mitnichten. Wer in den Sommerferien nicht auf seinen Lieblingssport verzichten möchte, verstaut am besten ein gutes Sportbuch im Koffer.

Passend zum Thema »unterwegs sein« lädt Deutschlands produktivster Sportbuchautor Hardy Grüne zu einer »Reise um die Welt« ein. Als »Rundlederstatistikgott« gestartet, hat sich der Weltenbummler zu einem Kenner der Fußballkultur gemausert. Mit dem 472-Seiten-Opus über den Fußball in Amerika, Afrika und Ozeanien hat der Fan der Klubs Göttingen 05, Bristol Rovers und En Avant de Guingamp eine Enzyklopädie verfasst, die nur wenige Fragen unbeantwortet lässt. Seit wann rollt der Ball auf den Cook-Inseln? Wer sind die Legenden in Venezuela? Warum wurde Südafrika die »Fußballwiege« des schwarzen Kontinents? Alles nachzuschlagen in dem 2,2 Kilo schweren Wälzer, der zugegebenermaßen besser in die heimische Bibliothek als in den Urlaubskoffer passt.

Hardy Grüne: Weltfußball-Enzyklopädie, Band 2: Amerika, Afrika & Ozeanien, Verlag Die Werkstatt, 39,90 Euro

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Viel herumgekommen sind auch die Groundhopper, die ihre Erlebnisse und Erkenntnisse im Slang reisender Fußball-Junkies aufgeschrieben haben. Junge Amerikanerinnen im Zug werden mal als »Minks«, also weibliche Katzen, mal als »Judys« bezeichnet. Judys? Als Namensgeber muss die Affendame aus der Fernsehserie Daktari herhalten. Warum? Na, weil deren »Mauken« stinken wie die junger Äffinnen, meint jedenfalls Autor Markus Stapke. Wer über dieses juvenile Geplapper generös hinwegliest, erfährt neben Schilderungen unterklassiger Spiele in Ungarn, Polen, Bulgarien, Georgien oder Albanien bisweilen interessante Details. Zum Beispiel, dass die Namenspatronin des Bukarester Stadions »Complexul Sportiv Iolanda Balas Söter« zwischen 1957 und 1967 14 Mal den Hochsprungweltrekord verbessert hat. Jolanda Balasz gewann zwei Goldmedaillen bei Olympia und 140 Wettbewerbe in Folge!

Martin Czikowski und andere: Anstoß in Baku. Berichte von Fußballreisenden, Burkhardt & Partner Verlag, 9,50 Euro

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Ähnlich unbekannt wie die rumänische Hochspringerin ist hierzulande Brasiliens erster Fußballstar Arthur Friedenreich – und das trotz seiner deutschen Wurzeln: Großvater Carl war Arzt und stammte aus Dahme in Brandenburg. Er verließ Deutschland nach seinem Ausbruch aus dem Gefängnis, worin er als Aufständischer der 1848er Revolution gesessen hatte. Enkel Arthur wurde 1914 Nationalspieler, war Torschützenkönig, mehrfacher Regionalmeister und Schütze des entscheidenden Tors bei der Südamerikameisterschaft 1919. Dennoch hatte der kraushaarige Sohn einer schwarzen Wäscherin unter dem alltäglichen Rassismus zu leiden. Heute gehört Arthur Friedenreich, der mehr Treffer als Pele erzielte und als Erfinder des Effetschusses gilt, zur Hall of Fame des brasilianischen Fußballs.

Martin Curi: Friedenreich. Das vergessene Fußballgenie, Verlag Die Werkstatt, 16,90 Euro

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Quer über den Atlantik, zurück nach Deutschland. Dort hat ein Toreverhinderer einen Platz im kollektiven Fußballgedächtnis im Osten der Republik: der 46-malige Internationale René Müller. Der 50-jährige Markkleeberger erzählt im sympathischen Plauderton sein (Fußball)-Leben von den Anfängen bei der BSG Aktivist bis zu den Erlebnissen mit Lokomotive Leipzig, für die er 1987 im Europapokalhalbfinale gegen Girondins Bordeaux den entscheidenden Elfmeter ins »linke obere Eck« jagte.

René Müller: Ins linke obere Eck. Ein Nationaltorhüter erzählt, Tauchaer Verlag, 12,80 Euro

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Einem besonderen Kapitel der DDR-Sportgeschichte, dem Armeefußball, widmet sich der langjährige SPD-Fraktionsgeschäftsführer in Berlin-Schöneberg. Hanns Leske erzählt die Geschichte des sechsmaligen DDR-Fußballmeisters ASK bzw. FC Vorwärts, der seinen Ursprung 1950 in Leipzig hat und in Berlin in den 60er Jahren zum erfolgreichsten Verein der Oberliga avancierte. Später gegen Widerstände nach Frankfurt/Oder umgesiedelt, versank der Klub nach dem Ende der DDR in der Bedeutungslosigkeit und kickt heute als FFC Victoria 91 in der sechsten Liga.

Hanns Leske: Vorwärts. Armee-Fußball im DDR-Sozialismus, Verlag Die Werkstatt, 24,90 Euro

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In England ist Kupers Reportagen-Sammlung ein Kultbuch. Jetzt liegt es in deutscher Übersetzung vor. Das besondere Interesse des Autors gilt der Rivalität im Fußball – zwischen Celtic und Rangers, Argentinien und Brasilien, Deutschland und Holland. Kuper, als Jugendlicher zur EM 1988 noch beinharter Deutschland-Verächter, urteilt heute milder über den ehemaligen fußballerischen Feind und schildert angetan die lockere Stimmung während der WM 2006.

Simon Kuper: Football against the enemy. Oder: wie ich lernte, Deutschland zu lieben, Verlag Die Werkstatt, 16,90 Euro

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