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Mit dem Paddel durch die Stadt

Die »architektonischen Wasserspaziergänge« bieten eine ganz andere Möglichkeit, Hamburg zu entdecken – vom Kanu aus zeigt der Architekt Stefan Rogge die unbekannten Seiten der Hansestadt und klärt über den städtebaulichen Wandel auf.

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 6 Min.

Für gewöhnlich plant man bei einem Hamburg-Besuch immer einen »Wasserprogrammpunkt« ein. Besonders beliebt ist eine Barkassenfahrt durch den Hafen. Vorbei an großen Schiffen kann man die Luft der großen weiten Welt schnuppern. Doch man kann Hamburgs »Wasserseite« auch ganz anders entdecken. Der Architekt Stefan Rogge bietet mit seinen »Wasserspaziergängen« eine gänzlich neue Art an, Hamburg zu erkunden – vom Kanu aus.

Während man bei der gewöhnlichen Hafenrundfahrt so gut wie keine Kalorien verbrennt, muss man bei den Ausflügen Stefan Rogges eigenes Muskelschmalz mitbringen. Dafür wird man mit einer Sicht auf die Stadt belohnt, die einem sonst verborgen bliebe. »Vor vier Jahren hatte ich die Idee, mich irgendwie mit Wasser und Kanus selbstständig zu machen«, erzählt der 39-jährige Rogge. Ein Leben lang als Architekt im Büro zu sitzen kam für ihn nicht in Frage. Herausgekommen ist nach langer Grübelei die Selbstständigkeit mit der Firma »Fleetfluchten«. Und diese verknüpft in idealer Weise Rogges Interessen. Vom Wasser aus bringt er seinen Gästen wahlweise die Architektur der Stadt oder aber die aktuelle Stadtentwicklung näher. Seine Wege führen zu den verborgenen »Perlen« der Hansestadt. Das können sowohl tolle alte Häuser am Wasser als auch verfallene Industriebrachen sein.

Angst vor der Gentrifizierung

Das Who is who der Stadtteile, durch die die Touren führen, hört sich zunächst gar nicht nach den Vorzeigeadressen Hamburgs an: Hammerbrook, Wilhelmsburg und Harburg. Was soll es bitteschön im von industriellen Brachflächen geprägten Hammerbrook außer dem Straßenstrich noch an Sehenswürdigkeiten geben, was soll am sozialen Brennpunkt Wilhelmsburg reizvoll sein? »In Hammerbrook ist meine erste Tour entstanden. Damals war ich im Winter dort auf dem Wasser und habe einfach die Ruhe genossen. Ich war mitten in der Stadt – und doch ganz draußen«, erinnert sich Rogge an seine erste Begegnung mit der Wasserseite Hammerbrooks. Der Architekt machte sich ans Werk und konzipierte eine Kanutour durch Hammerbrook, die sowohl die alten Industriereste erklärt als auch neue Konzepte für die Ansiedlung von Hausbooten vorstellt. Im zweiten Jahr kam die Tour durch Wilhelmsburg hinzu. »Auf Wilhelmsburg bin ich über die Internationale Bauaustellung (IBA) aufmerksam geworden«, sagt Rogge. Der »soziale Brennpunkt« hatte es ihm sofort angetan. Lange Zeit schien Wilhelmsburg gar nicht zu Hamburg zu gehören. »Das liegt doch südlich der Elbe« – diesen Spruch hörte man noch bis vor ein paar Jahren, wenn man den Namen Wilhelmsburg in den Mund nahm. Der Hamburger Senat wurde jedoch bereits vor einigen Jahren auf die Potenziale des Stadtteils aufmerksam – sehr viel Grün und tolle Wassergrundstücke. Mit dem markigen Spruch vom »Sprung über die Elbe« möchte der Senat den Stadtteil aufwerten und in sein Konzept der »wachsenden Stadt« integrieren. Rogge greift diesen Wandel in Wilhelmsburg während seiner Tour kritisch auf und erklärt, wie sich der Wandel langsam aber sicher vollzieht.

Die Touren finden immer am Wochenende statt. Von Freitag bis Sonntag treffen sich die Teilnehmer am alten Anleger am Ernst-August-Kanal in Wilhelmsburg. Ein Biergarten direkt am Anleger lädt eigentlich schon vor der Tour zu einem kühlen Bier mit Kanalblick ein. Barkassen ziehen vorbei, legen an und Touristen steigen aus. »Die sind neu. Bis vor zwei Jahren legte hier nie eine Barkasse an«, sagt die Biergartenbesitzerin Helga Meis. Alten Wilhelmsburgern merkt man die Skepsis gegenüber dem Wandel an. Es schwingt die Angst mit, dass es Wilhelmsburg so geht wie Ottensen. Vom vergessenen, heruntergekommenen Stadtteil in wenigen Jahren zum Vorzeige-Latte-Macchiato-Kiez – mit unbezahlbaren Mieten. Im Kanu erreicht man nach zwei, drei Paddelschlägen dann auch das erste Indiz für den Wandel. Direkt an der Ecke Ernst-August-Kanal/Assmannkanal gab es bis vor zwei Jahren ein fast baufälliges Gründerzeithaus. Komplett saniert, erstrahlt es jetzt geradezu wie ein Neubau.

Villen mit Kanalblick und Industriebrachen

Unter der Brücke wenige Meter nach dem Haus hält die zwölf Teilnehmer umfassende Gruppe kurz an und wartet einen kleinen Regenschauer ab. Für Stefan Rogge und die Teilnehmer kein Beinbruch, denn solche Gelegenheiten nutzt der Architekt für ein gemütliches »Boot-In«. Alle vier Boote liegen dicht beieinander und lauschen Rogges Ausführungen. An diesem Tag hat er im Rahmen des Hamburger Architektursommers einen kurzen Exkurs zur »Promenadologie«, der »Spaziergangswissenschaft« eingeplant. Diese wurde in den 1980er Jahren von dem Kasseler Soziologen Lucius Burckhardt entwickelt. Rogge war Student bei Burckhardt und beeindruckt von dessen Spaziergängen, die sich der Stadt oft von einem unbekannten Blickwinkel aus näherten. »Erst nachdem ich Fleetfluchten gegründet hatte, bemerkte ich, dass ich quasi in Burckhardts Fußstapfen getreten bin«, erzählt Rogge.

Das Ufer bietet immer wieder neuen Stoff für die Diskussion um die Frage der Stadtplanung. Neben idyllischen Schrebergärten und alten Bäumen am Wasser ragen einige Hochhäuser auf, kurz danach tauchen Neubauten in direkter Wasserlage auf, die durch hohe Zäune gegen Vandalismus geschützt sind, aber eben auch den Wasserzugang versperren. Im reichen Eppendorf wäre das ein Unding – hier hat jeder sein Boot am eigenen Steg liegen. Rogge diskutiert mit, belehrt aber nicht. Genau das schätzen Melanie und Rüdiger an den Touren. Rüdiger fährt schon zum dritten Mal bei »Fleetfluchten« mit. »Jede Tour ist anders, aber immer sieht man Seiten von Hamburg, die man nie vermutet hätte«, meint der 45-jährige Bankangestellte begeistert.

Auf dem Weg zum nächsten Programmpunkt, dem Jaffe-Davids-Kanal, dröhnt Verkehrslärm von der nahen Wilhelmsburger Reichsstraße herüber. Im Rahmen der IBA ist geplant, die Straße komplett zu verlegen. »Von der Lärmbelästigung her wäre es ein Gewinn, die Wilhelmsburger haben jedoch Bedenken, dass die geplante Autobahn anstelle der Reichsstraße noch mehr Verkehr anzieht«, gibt Rogge zu bedenken.

Im Jaffe-Davids-Kanal angekommen, findet man sich in einer gänzlich anderen Welt wieder. Vergeblich sucht man Wohnbebauung oder Freizeitnutzung. »Dieser Kanal ist geprägt durch seine industrielle Nutzung«, erläutert Rogge. An malerischen Ufern, dicht bestanden mit Bäumen, führt nicht etwa ein Wanderweg vorbei, nein, hier werden Kräne und Bohrgerät gelagert und leere Container warten wie Hochhäuser hinter idyllischer Fassade auf ihren Einsatz. Auf den Kanälen rund um die Außenalster wäre dieser Anblick undenkbar – dabei ähneln sich die Kanäle von ihrem »Idyllegrad« doch sehr. Aber der Jaffe-Davids-Kanal liegt in Wilhelmsburg und noch greift der Wandel nicht an allen Orten.

Mittlerweile scheint die Sonne und die Paddler diskutieren die Schönheit der Kanäle und den Wandel der Stadtteile. Rogge zeigt immer mal wieder Bilder und alte Karten, um Veränderungen sichtbar zu machen. »Es wäre schade, wenn all diese Brachflächen von Stadtplanern entdeckt würden«, äußert Friederike ihre Bedenken, »dann wird wieder alles chic bebaut und nutzbar gemacht!«

Nach zwei Stunden merkt man die Anstrengung in den Armen. Da die Sonne mittlerweile aber beständig scheint, gönnen sich einige Kanuten nach Verstauen der Boote ein kühles Getränk im Biergarten. Die Zufriedenheit ist groß, einige diskutieren noch mit Stefan Rogge und der eine oder andere Teilnehmer kündigt an, ein weiteres Mal mitpaddeln zu wollen.

Termine: 29., 30. August, Harburger Binnenhafen; 5., 6. September, Wilhelmsburg; 11., 12., 13. September, Hammerbrook; 18., 19., 20. September, Harburger Binnenhafen; 26., 27. September, Eilbekkanal; 3., 4. Oktober, Spreehafen, 10., 11. Oktober, Elbekanal. Jeweils 14 und 17 Uhr, ca. 2 Stunden. Teilnahmebeitrag 20 Euro.

Kontakt: Tel: (040) 50 68 43 08,
Mobil: (0176) 61 05 90 61
E-Mail: info@fleetfluchten.de
www.fleetfluchten.de

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