Bretagne - Meere, Muscheln und Menhire

Wo man in Frankreich mit »»Welcome to Brittany« begrüßt wird

Dass man endlich in der Bretagne angekommen ist, merkt man wenige Stunden nach Paris vor allem an zwei Dingen: Viele Ortsnamen beginnen mit der Silbe »Ker« und die schlichten Wohnhäuser haben, ähnlich wie in England, ihre Schornsteine an beiden Giebeln. Die Bauweise der Häuser weist auf ihre britannischen Wurzeln hin. In St. Poul de Leon, einem größeren Passagierhafen an der Nordküste der Bretagne, werden die ankommenden Fähr-Gäste aus Plymouth in England nicht zufällig auf englisch mit »Welcome to Brittany« begrüßt. Das »Ker« im Ortsnamen ist bretonisch und bedeutet Haus, Häuser, Dorf. So heißt denn auch der erste Ort nach der Landenge auf der Halbinsel Quiberon, unserem Urlaubsquartier, ganz bretonisch Kerhostin. Obwohl nur rund zwölf Kilometer lang und maximal drei Kilometer breit beherbergt die ehemalige Insel, die erst durch Anschwemmungen mit dem Festland verbunden wurde, mehrere malerische Ortschaften. Und fast ebenso viele ausgesprochen malerische Häfen, die zum Bummeln einladen. Die Halbinsel Quiberon ist eine Urlaubs- und Wochenendinsel für französische Familien. Im Hauptort Quiberon dreht sich außer dem Fischfang und dem Passagierverkehr zu den nahe gelegenen Inseln Belle Ile, Houat und Hoedic alles um den Urlaub. Landschaftlich hat die Halbinsel zwei Gesichter. Ein zerklüftetes mit steilen Riffs, gefährlichen Klippen, malerischen Grotten und kleinen stillen Buchten auf der Atlantikseite und ein sanfteres, sonnigeres Gesicht an der südöstlichen Küste. Hier sind die Strände breiter, die Dünung ist sanfter, der Übergang vom Meer zum Land allmählicher. So wird denn auch die rauhere Seite Côte Sauvage, wilde Küste, genannt. Die andere Küste heißt nur Baie Quiberon und hat fast schon eine mittelmeerähnliche Atmosphäre, die zum Sonnen und Baden einlädt. Diese beiden so unterschiedlichen Seiten kann man übrigens in einer ganztägigen Wanderung rund um die Halbinsel leicht zu Fuß erkunden. Dabei sind dann allerdings auch andere Hinterlassenschaften nicht zu übersehen, weil oft an Plätzen mit den schönsten Ausblicken: unförmige Betonklötze ehemaliger Bunker des faschistischen Deutschland, das auch die malerische Halbinsel Quiberon zu einem Teil der »Festung Europa« machen wollte. An der Zufahrt zur Halbinsel, an einem Küstenfort der französischen Marine, wird auch 59 Resistance-Kämpfern gedacht, die damals von den deutschen Besatzern in diesem Fort füsiliert wurden. An dieser Landenge gibt es täglich auch ein urfranzösisches Aha-Erlebnis. Jeden Mittag gegen 12 Uhr werden die wenigen Meter Land zwischen dem Meer von zig Autos zugeparkt. Franzosen beiderlei Geschlechts verkleiden sich neben und in ihren meist kleinen Renaults und Peugeots abenteuerlich. Von kleinen Waden- bis zu fast schulterhohen Fischerstiefeln, von altmodischem Ölzeug bis zu hochmodernen Neoprenanzügen reicht die Ausstattung. So gewandet, stiefeln Männer wie Frauen mit Eimern und Netzen, kleinen Schaufeln und Harken in der Hand dem zurückweichenden Meer hinterher. Wie große Vögel haben sie den Blick zu Boden gerichtet auf der Suche nach Muscheln, die dann abends in für normale Mitteleuropäer unfassbaren Mengen verspeist werden. Wer vom Schlendern durch Gassen und Straßen, vorbei an Geschäften mit fangfrischem Fisch, regionalen Erzeugnissen, authentischer Kunst und maritimen Textilien, an Bars, Restaurants, Creperien und Fischerkneipen genug hat, dem sei ein Ausflug auf die Belle Ile, die schöne Insel, empfohlen. Sie liegt wie ein Riegel 45 Schiffsminuten entfernt quer vor Port Maria, dem Haupthafen von Quiberon, und lockt am Horizont zum Besuch. Belle Ile, die schöne Insel, ist rund 17 km lang und 5 bis 10 km breit, hat dabei so viele touristische Attraktionen und Natur-Schönheiten aufzuweisen, dass man auf einer Tagestour nur die wenigsten erfassen kann. Schon vor der Einfahrt nach Le Palais, dem Hauptort, lockt über einem entzückenden Hafen die gewaltige La Citadelle. Die wurde von keinem Geringeren gebaut als dem berühmten Festungsbaumeister Vauban. Belle Ile war über Jahrhunderte auch von Engländern und Holländern umkämpft. Das lag neben ihrer strategischen Lage auch daran, dass Belle Ile die einzige Insel zwischen Ärmelkanal und Mittelmeer ist, die über große Mengen an genießbarem Süßwasser verfügt. Eine Rundreise mit dem Bus - auch eine individuelle mit gemietetem Pkw ist möglich - führt bequem und mit französischen Erläuterungen an solch schöne, verheißungs- und geheimnisvolle Orte wie Locmaria, dem Ort der Jungfrau Maria, der früher als Ort der Hexen galt. Oder an die malerische, zerklüftete und riesengroße Grotte de lApothicairie. Oder an das rauhe Nordwest-Kap, wo die Schauspielerin Sarah Bernard einen Teil ihrer letzten Lebensjahre auf der Insel der Ruhe verbrachte. In Sauzon, dem zweitgrößten Ort und Hafen der Insel und an einem richtigen kleinen Fjord gelegen, macht der Bus Mittagspause. Um das Mittagessen muss man sich dabei allerdings selbst kümmern. Aber das ist natürlich auch hier in Sauzon angesichts der zahlreichen Fisch- und anderen Restaurants, der Bars und Creperien keine Kunst. Wir nahmen - ganz französisch - an einem dieser hübschen Tische auf dem imaginären Fußweg vor einer Creperie Platz für einen Cafe au lait (Milchkaffee), ein Eau de mineral (Mineralwasser) und je einem Crepes (Eierkuchen) Platz. Dabei muss das Gerücht zurückgewiesen werden, dass man durch die französischen Crepes hindurch Zeitung lesen kann. Das stimmt nicht. Sie sind nur ebenso dünn und machen trotzdem satt. Sofern man alle Stunde ein oder zwei davon isst. Wer weiter Lust zum Sehen hat, dem seien die Megalithen von Carnac, dem nächst größeren Ort am Fuße der Halbinsel Quiberon empfohlen. Auf mehreren Anlagen und Alleen erstrecken sich kniehohe und übermannsgroße, bis zu vier Meter hohe Steinsäulen. Kilometerweit und bis zu hundert Meter breit erstrecken sich diese über tausend »Menhire« genannten Megalithen aus der Neusteinzeit, dem Neolithicum. Ab und zu gesellt sich noch ein großes Stein- oder fürstliches Hügelgrab dazu. Gegenwärtig warten Franzosen wie Bretonen darauf, dass die UNESCO ihrem Antrag zustimmt, diese gewaltigen Steine zu einem Weltkulturerbe zu erklären. Trotzdem weiß man nach wie vor sehr wenig über ihr Woher, Warum und Wofür. Eines ist allerdings sicher: Sie sind die historischen Vorbilder für die »Hinkelsteine« der aufsässigen Gallier rund...

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