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Kunstausstellung ohne Kult um große Namen: »geboren in Döbeln«

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 5 Min.
Ellen Sturms Terrakotten
Ellen Sturms Terrakotten

Wenn Kunstschaffende, die an einem Flecken geborenen wurden, zusammen vorgestellt werden, baut sich vor den Augen des Betrachters meist die übliche Pyramide auf. Vom Fundament zur Spitze gelangt man, bei abnehmenden Umfang, von den Kunsthandwerkern, Zeitgeistartisten, den Epigonen über die Lokalmatadoren und soliden Kleinmeister zu den wenigen Künstlern im eigentlichen Sinn. Originale Geister sind insgesamt so selten, dass manche Pyramide stumpf bleiben muss. Für Döbeln nehmen den Spitzenplatz unbezweifelbar Erich Heckel und Bernhard Kretzschmar ein. Von Heckel zeigt die Ausstellung »geboren in Döbeln« vier Druckgrafiken. Es ist gut, dass man in Auswahl und Hängung auf ein umfassendes Gesamtbild aller einbezogenen Künstler geachtet hat und sich nicht zum Kult mit den großen Namen hat verführen lassen. Dabei finden sich durchaus bedeutende Leihgaben.

Besonders bemerkenswert ist das Panorama-Aquarell »Blick auf Eisenhüttenstadt«, mit dem Kretzschmar sein bekanntes Gemälde vorbereitete. Das ist an sich ein fertiges Bild, möglicherweise sogar das gelungenere. Bernhard Kretzschmar ist der einzige, dessen Werk substanziell von Erfahrungen zehrt, die er in Döbeln gemacht hat. Mehrere Stadtlandschaften und Genrebilder entstanden in den zwanziger Jahren dort und haben die mittelsächsische Kleinstadt zu einem Topos innerhalb der Malerei der Neuen Sachlichkeit werden lassen. Die Wahrnehmung des kleinstädtisch-ackerbürgerlichen Milieus hat auch seine spätere Sicht auf das Leben in Dresden mitbestimmt. Auch dort findet er seine Bild-Anlässe an den Rändern der Stadt oder der Gesellschaft. Die ausgestellten Kaltnadelradierungen »Tod des Sekretärs« und »Zigarrenmacher« sind von dieser Art.

Der Bildhauer Otto Rost war Meisterschüler von Georg Wrba und wurde ein Erbe von dessen solider dekorativ-baubezogener Figurenplastik. 1959 zog er von Dresden wieder nach Döbeln, wo er in seinen letzten elf Lebensjahren in unmittelbarer Nachbarschaft der jetzigen Ausstellungsräume im Rathaus sein Atelier inne hatte.

Den äußersten Grad des Kunstgewerbes, wo es in die Kunst hinüberreicht und deren Anspruch innerhalb dieser Schnittmenge oftmals genauer gerecht wird als die zertifizierte freie Kunst, die, routiniert geworden, gelegentlich ins Gewerbe zurücksinkt, diesen äußersten Grad erreichte Paul Burghard mit der von ihm geschaffenen Technik des Schieferstiches. Sein Illustrationswerk steht im Zusammenhang mit den Bestrebungen von Werkbund und Bauhaus, die industrialisierten und mechanisierten Prozesse der Neuzeit ästhetisch ordnend mitzugestalten, ohne sie zu überdecken, wie es der Historismus noch versuchte.

Vier Blätter aus der Folge »Bauten in Beton« (1944) zeigen von Holzgerüsten verhüllte Riesenbaukörper in der Einheit mit der umgebenden Landschaft. Die Blätter nach den Werken des Bildschnitzers Riemenschneider schließen auf neue Art an die alte Kultur des Reproduktionsstiches an. Der Auftrag der Wiedergabe wird durch den eigenen Blick bereichert, ohne in Subjektivität abzugleiten.

Eine Kaltnadelradierung »Ansicht von Dresden« von Paul Höfer, der daselbst an der Kunstgewerbeschule studierte, erweist die Bedeutung der lokalen Kunsthauptstadt auch für diesen Döbelner. Walter Eckhard war als Werbegrafiker unter anderem viele Jahre bei der Philips Lampenfabrik in Holland tätig. Er ist mit einer »Wasserstraße in Mechelen« vertreten. Diese Generation, deren Wiege noch im Kaiserreich stand, wird in der Turmstube präsentiert.

Die Arbeiten unserer Zeitgenossen finden sich im großzügigen Foyer des Rathauses. Bei diesen verbietet es sich bereits jetzt, über die Haltbarkeit der Hervorbringungen zu urteilen. Zu sehr ist der kritische Betrachter selbst in den Zeitgeist verstrickt. Erstaunlich ist allerdings, dass sich fast das gesamte Spektrum der Möglichkeiten und Genres anhand der Werke dieser zufällig am gleichen Ort Geborenen ausbreiten lässt, von der Handzeichnung zum Tafelbild, der Skulptur, soliden Illustrationsarbeiten bis zu Fotografie und Videokunst.

Die Biografien spiegeln die Zeitumstände. Die Plastikerin Ellen Sturm übersiedelte 1984 in die BRD, der Maler Thomas Gatzemeier 1986 und Jan Junghanß 1989. Inge Kasimira Knirr hat es schon in jungen Jahren nach Süddeutschland verschlagen. Ruth Wolter-Steyn wanderte 1950 mit ihrer Mutter gar nach Südafrika aus. Was sie sich nicht selbst beibrachte, dass hat ihr in der höheren Töchterschule in Döbeln der Lehrer Proft mitgegeben. Ihrer »Buschmann Mona Lisa« wird die Savanne von Thomas Müller nicht ganz fremd anmuten. Der erfolgreiche Illustrator bebildert vor allem Sachbücher für Kinderbuchverlage. Die Hamburger Professorin für Zeichnen und Druckgrafik Ellen Sturm gestaltet in farbig gefassten Terrakotten dickleibige, großbusige Frauen, die mit Utensilien beschäftigt sind (Bulldogge, Flugzeug etc). Auf einem Holzschnitt kämpft der gleiche Typus mit einem Bären. Der Druckstock dazu ist in der Vitrine ausgestellt. Diese enthält weitere Verweise auf in Döbeln geborene Künstler, darunter die Tonsetzer Fritz Steuer und Matthias Brettschneider, deren Werke zur Ausstellungseröffnung erklangen, und des Dichters Rainer Kirsch.

Jan Junghanß aquarelliert Berliner Hinterhöfe und Treppenhäuser, Holzstiegen mit gedrechselten Säulen. In einem viel abweisenderen Hausflur erleidet die puppenartige Protagonistin der Fotoinszenierung seiner Schwester Lisa Junghanß ein ungewiss beklemmendes Geschick. Thomas Gatzemeiers Akte lagern dagegen entspannt auf einem von Pflanzendekor überzogenen Sofa. Hunde betrachten sie und Krähen fliegen über sie hin. Bernd Krenkel bearbeitet Digitalfotografien der Bewegungen von Wasseroberflächen zu seltsam geheimnisvollen Gestalten und Mustern. Inge Kasimira Knirr lässt das Sonnenlicht den Hautton ihrer Frauenfiguren modellieren, die Umgebung verschmilzt mit der hellen Kleidung im Unsichtbaren.

Die Konzeption und Gestaltung der Ausstellung oblag dem Döbelner Foto-Grafiker Sven Abraham, der sich mit einer Fülle von Anregungen und hartnäckiger Durchführung im lokalen Kulturbetrieb bemerkbar machte. Zu seinen Aktivitäten gehörte auch die vorübergehende Widmung des Ernst-Heckel-Geburtshauses für überregional bedeutsame Kunstausstellungen. Diese Hauptarbeit wird von ihm als Nebentätigkeit geleistet. Die zweite Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Folge, während der er für das Kulturamt der Stadt tätig war, läuft nun aus.

»geboren in Döbeln« bis 22. August, Stadtmuseum/Kleine Galerie, Obermarkt 1, Döbeln, Di 10-18, Mi/Do 10-16 und Fr 9-12 Uhr

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