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Eier ohne Antibiotika?
EU will die Medikamente aus Futtertrögen verbannen, um Resistenzen zu vermeiden
Die tägliche Dosis Antibiotika, mit denen Masthähnchen, Puten, Schweine und Kälber vielerorts schneller und billiger gemästet oder Legehennen auf Hochleistung getrimmt werden, soll nach dem Willen der EU-Kommission aus den Futtertrögen verschwinden.
Eine neue Verordnung der EU-Kommission über die Sicherheitsbewertung und Zulassung von Futtermittelzusatzstoffen sieht vor, den Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer ab Anfang 2006 vollständig zu verbieten. Die Medikamente sollen nur noch zur Behandlung von Tierkrankheiten erlaubt sein. Gegen die Beimischung der Antibiotika zum Viehfutter, mit der in industriemäßigen Mast- und Eierfabriken zugleich das Seuchenrisiko verringert wird, sind Verbraucherschützer seit Jahren Sturm gelaufen. Denn die Rückstände der munter verfütterten Wirkstoffe gelangen in die menschliche Nahrungskette und können dort zu gefährlichen Antibiotika-Resistenzen führen. Immerhin sind jene Antibiotika, die üblicherweise zur Behandlung menschlicher Krankheiten verschrieben werden, als Mastbeschleuniger bereits seit einigen Jahren verboten.Noch immer zugelassen sind aber vier antibiotische Substanzen namens Flavophospholipol, Monensin, Salinomycin und Avilamycin, die zumindest gegenwärtig nicht in der Humanmedizin eingesetzt werden. Ob dies so bleibt oder eines Tages doch Medikamente mit diesen Substanzen auf den Markt kommen werden, kann niemand voraussagen. Avilamycin ist zumindest schon für den humanmedizinischen Einsatz getestet worden. Auch dem Tierwohl und der Umwelt sind die täglichen Antibiotika-Beigaben alles andere als zuträglich. So drängen inzwischen einige EU-Staaten - seit der Amtsübernahme von Verbraucherministerin Renate Künast auch Deutschland - auf ein Totalverbot der Antibiotika-Mast.
Ob der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission im Rat der EU-Agrarminister abgesegnet, verwässert oder auf die lange Bank geschoben wird, ist längst nicht ausgemacht. Denn unter dem Einfluss der Mastfabriken- und Großagrarier-Lobby sind insbesondere die zuständigen Ressortchefs der Rechtsregierungen Italiens und Spaniens, aber auch der britische Minister schon im Vorfeld auf die Bremse getreten. Schließlich sehen sie die Profite schrumpfen, wenn statt des Dopings mehr Futtermittel eingesetzt, die Mastzeiten länger werden und in den Großanlagen die hygienischen Aufzuchtbedingungen verbessert müssen oder einfach weniger Tiere eingestellt werden können. Auch im Europäischen Parlament, das der Verordnung gleichfalls zustimmen muss, sind die Lobbyisten der Mast- und der Pharmaindustrie emsig am Werk.
Dabei hat sich EU-Verbraucherschutzkommissar David Byrne mit der Vorlage der neuen Verordnung die Leine lang gelassen. Immerhin werden den Billigproduzenten von Eiern, Schnitzeln oder Putenbrüsten fast vier Jahre Zeit für die Umstellung auf artgerechte natürliche Fütterung sowie Seuchen-Vorbeugung eingeräumt. Bei einer anderen Gruppe von Medikamenten, deren Einsatz als Futtermittel-Zusatzstoff gleichfalls heftig umstritten ist, blies Byrne sogar zum Rückzug. So genannte Kokzidiostatika bleiben erlaubt, auch wenn sie antibiotischen Ursprungs sind. Sie werden in Großanlagen zur Vorbeugung der weitverbreiteten Geflügelseuche Kokzidiose eingesetzt und landen letztendlich ebenfalls im Ei oder auf dem Mittagstisch. Zugelassen ist ein üppiges Menü dieser bedenklichen Substanzen: Decoquinat, Dicazuril, Halofuginon, Robenidin, Narasin und das besonders umstrittene Narasin/Nicarbazin, Natrium-Lasalocid, sowie Maduramicin-Ammonium.
Übergangsfristen lang bemessen
Die »moderne Geflügelhaltung«, rechtfertigt sich die EU-Kommission, könne ohne diese ständigen Futterbeimischungen nicht auskommen. Hygienevorkehrungen und entsprechende Tierhaltungsmaßnahmen reichten nicht aus, um das Federvieh seuchenfrei zu halten. »Zum Schutz der menschlichen Gesundheit« schlägt die EU-Kommission immerhin vor, bislang fehlende Rückstandshöchstgrenzen einzuführen. Auch sollen die Zulassungen der einzelen Kokzidiostatika binnen vier Jahren überprüft, zur Vermeidung von Rückständen in Eiern Legehennen nur während ihrer Aufzuchtperiode solche Präparate untergemischt werden und Mast- und Truthühner nur bis zu bestimmten Fristen vor der Schlachtung Kokzidiostatika erhalten.
Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens diese Auflagen durchgesetzt werden können und die lange Übergangszeit für die vier eingangs genannten Antibiotika vom Europäischen Parlament noch kassiert wird. Außerdem hat Schweden längst nachgewiesen, dass dem Medikamenten-Missbrauch in der Tierproduktion ohne nennenswerte Kostensteigerungen ein Ende gesetzt werden kann. Dort war die Antibiotika-Verfütterung schon vor dem EU-Beitritt verboten und wurde durch eine Ausnahme-Genehmigung im schwedischen Beitrittsvertrag auch aufrechterhalten. Obwohl diese Übergangsregelung längst abgelaufen ist, und das Verbot damit eigentlich gegen EU-Recht verstößt, ist die EU-Kommission nie eingeschritten. So können die Schweden antibiotikafreie Eier löffeln, ohne dass die Betreiber der dortigen Legebatterien wirtschaftlich in die Knie gegangen wären.
Immerhin zeigte es auch in anderen EU-Staaten schon Wirkung, dass mehr und mehr Verbraucher beim Fleisch- oder Eierkauf genau hinschauen und allzu verdächtige Billig-Angebote verschmähen. Gemeinschaftsweit ist die Antibiotika-Beimischung im Viehfutter seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre rückläufig. Nach den neuesten Angaben des Europäischen Dachverbandes für Tiergesundheit (FEDESA), die von der EU-Kommission übernommen wurden, sind 1999 »nur noch« 786 Tonnen Antibiotika als Mastbeschleuniger eingesetzt worden. Zwei Jahre zuvor waren es noch 1600 Tonnen gewesen. Damit ist der Anteil der als Futtermittel-Zusatzstoff eingesetzten Antibiotika auf sechs Prozent des europäischen Gesamtverbrauchs zurückgegangen.
Zum Vergleich: als Tierarzneimittel wurden 1999 insgesamt 3900 Tonnen (29 Prozent) Antibiotika verabreicht, während 8500 Tonnen (65 Prozent des Gesamtverbrauchs) von Menschen geschluckt wurden. Der übermäßige Pillen-Konsum schon bei leichteren Erkrankungen ist damit die bei weitem schwerwiegendste Ursache für die zunehmenden und potenziell riskanten Antibiotika-Resistenzen beim Menschen.
Allerdings enthält diese Statistik eine große Unbekannte: die Importe von Masthähnchen oder eierhaltigen Produkte aus Drittstaaten. Der berühmt-berüchtigte deutsche Hühnerbaron Pohlmann ist bekanntlich in die USA »ausgewandert« und betreibt dort gigantische, sorgsam abgeschottete Legebatterien. Aus den USA werden neben Brathähnchen große Mengen Eipulver - auch aus dem Pohlmannschen Imperium - in den europäischen Binnenmarkt exportiert und auch hier zu Lande weiterverarbeitet. Die neue EU-Verordnung klammert die Importe aus Nicht-EU-Staaten wohlweislich aus. Damit werden wohl auch weiterhin antibiotika-belastete Lebensmittel auf den deutschen Markt gelangen.
EU scheut Konflikt mit den USA
Die EU-Kommission scheut hier neue Handelskonflikte. In den geltenden Bestimmungen der Welthandelsorganisation ist vorbeugender Verbraucherschutz nicht vorgesehen, vom Wohl der Tiere ganz zu schweigen. Soll die Einfuhr eines Erzeugnisses verboten werden, muss zuvor der wissenschaftliche Nachweis von Gesundheitsschäden beim Menschen erbracht werden. Wollte die EU-Kommission also handeln, müsste sie sich - wie beim Hormon-Fleisch - auch in Sachen Antibiotika-Mast mit der Regierung in Washington anlegen. So bleibt dem gesundheitsbewussten Verbraucher bislang nur der Griff zum Bio-Ei oder Bio-Putenschinken oder der kritische Blick auf heimische Erzeugnisse, die ausge...
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