Mitarbeiter unter Beobachtung

Datenschützer beklagen mangelnden Schutz vor Bespitzelungen und fordern ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Unter dem Motto: »Arbeitnehmer – Freiwild der Überwachung?« trafen sich am vergangenen Montag über 600 Datenschützer in Kiel. Eindeutiger Tenor: Deutschland braucht endlich ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, denn die bisherigen Regelungen greifen nicht.

Nach den Datenschutzskandalen bei der Telekom, der Deutschen Bahn, bei Briefzentren der Post, bei Daimler und Lidl scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Bespitzelungs-Affäre ans Licht kommt. Die zunehmende Mitarbeiterüberwachung rief nun auch das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein auf den Plan. Seine jährliche Akademietagung stand diesmal unter dem Motto »Arbeitnehmer – Freiwild der Überwachung?«. Das Interesse war groß: Über 600 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet kamen am Montag nach Kiel. Für die gastgebenden Datenschützer steht nach dem Gedankenaustausch fest: Das Fragezeichen im Thementitel kann gestrichen werden! Vehement fordern Weichert und Co. ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Trotz entsprechender Koalitionsvereinbarungen von zwei rot-grünen Bundesregierungen wurde ein Gesetz bislang nicht auf den Weg gebracht.

Nach den Vorfällen um die Spitzelaffäre bei der Deutschen Telekom beschloss die Regierung am 18. Februar 2009 eine Klausel, die Unternehmen auf die geltende Rechtslage hinweisen soll. Dieser Zusatz im Paragraf 32 ist jedoch so schwammig und dehnbar formuliert, dass Experten auf der Kieler Tagung kein gutes Haar daran ließen. Zudem kann dieser symbolische Akt nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Große Koalition einen Entwurf für ein richtiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz schuldig blieb. Das entsprechende Gesetz soll nun erst nach den Bundestagswahlen kommen. Die SPD bringt in den aktuellen Wahlkampf immerhin noch einen neuen Entwurf für ein solches Datenschutzgesetz ein, wie der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Detlef Scheele, am Montag versicherte.

Neben der fehlenden gesetzlichen Grundlage ist auch die mangelnde personelle Ausstattung der Datenschutzbehörden ein großes Problem. In der Regel sind die Behörden hoffnungslos überfordert und können ihrer Kontrollfunktion kaum nachkommen. Datenschützer Weichert verwies auf die desaströse Situation seiner Kollegen in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Dort sei der Personalmangel besonders prekär. Karin Schuler von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz e.V. bemängelte neben Ignoranz auch fehlendes Unrechtsbewusstsein beim Thema. Die Skandale rund um das Ausspähen von Beschäftigten selbst beim Toilettengang sowie das Interesse an Krankendateien, Bewegungsprofilen und Freizeitverhalten seien laut Schuler nur die Spitze des Eisbergs. Der Kieler Rechtswissenschaftler Albert von Mutius erinnerte daran, dass Datenschutz Persönlichkeitsschutz sei und damit ein Grundrecht – und damit nicht etwa eine Lapalie.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) betonte, dass betriebliche Screenings den Charakter von Rasterfahndungen hätten – immer versehen mit einem Generalverdacht. Doch das Geschäft mit der Bespitzelung boomt: Betriebliche Überwachungssysteme seien auf Fachmessen der Renner, berichtete Bettina Gayk von der Datenschutzzentrale Nordrhein-Westfalen. Bei einem Blick ins Internet stellt man fest: Ab 70 Euro ist entsprechendes Schnüffel-Equipment zu bekommen.

Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sieht dagegen keine Notwendigkeit für ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Er fürchtet gesetzliche Hindernisse beim Kampf gegen Industriespionage und Korruption. Auf dem Treffen in Kiel wurde noch einmal deutlich, dass es bei international tätigen Unternehmen vielfach keine Regelungen zum Umgang mit Mitarbeiterdaten gibt. Fazit der Tagung: Bei einem zahnlosen Paragrafen 32 im Datenschutzgesetz würden nur exakt formulierte Betriebsvereinbarungen helfen. Hier sind Betriebs- und Personalräte gefordert!

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