Bruno Bauer,Karl Marx,Friedrich Engels

Vor 200 Jahren wurde Bruno Bauer geboren, der Einsiedler von Rixdorf

  • Hermann-Peter Eberlein
  • Lesedauer: 4 Min.

In seiner Jugend war er einer der engsten Freunde von Karl Marx – im Alter stand er auf Seiten der politischen Reaktion. Er war Theologe – und er bestritt die historische Existenz Jesu. Er liebte die radikale Aufklärung – und dachte antisemitisch. Bruno Bauer ist eine der schillerndsten Gestalten des deutschen Geistes im 19. Jahrhundert, die wie kaum eine andere Anspruch wie Gefahr eines abstrakten Intellektualismus verkörpert. Vor 200 Jahren, am 6. September 1809, wurde er im thüringischen Eisenberg geboren.

Bereits 1815 verzieht die Familie nach Charlottenburg, wo der Vater als Porzellanmaler eine neue Stelle antritt. Der intelligente Junge besucht das Friedrich-Wilhelms-Gymnasium und studiert ab 1829 an der Berliner Universität Theologie, vornehmlich bei dem Rechtshegelianer Philipp Konrad Marheineke. Im Frühjahr 1834 promoviert er und habilitiert sich zugleich als Privatdozent für Religionsphilosophie und Altes Testament. In seinen frühesten Schriften versucht er noch, biblische Aussagen als historisch notwendige Glieder im geschichtlichen Werden des Christentums zu beweisen. Doch bald wandelt er sich zum führenden Kopf einer Gruppe von jungen Hegel-Schülern, die man bald Doktorklub nennen wird und zu der die Lehrer Adolf Rutenberg und Karl Nauwerk gehören, Max Stirner (der später ein Hauptwerk des Anarchismus verfassen wird) und der junge Karl Marx. Sie versuchen, den bei den konservativen Nachfolgern des mittlerweile verstorbenen Hegel erstarrten dialektischen Prozess revolutionär weiterzuführen; die Religion ist dabei der erste und vornehmste Gegenstand der Kritik. Kein Wunder, dass sich Bauer bald mit einem der mächtigsten Männer seiner Fakultät, Ernst Wilhelm Hengstenberg, so entzweit, dass er dort nicht weiter lehren kann.

Der Kultusminister vermittelt ihm 1839 eine zweite Chance an der Universität Bonn. Hier radikalisiert er sich theologisch weiter: die Evangelien sind nun literarische Kunstwerke, deren historischer Kern nicht ermittelbar ist. Im März 1842 erhält Bauer Lehrverbot, gegen das er sich nicht wehrt, weil er innerlich mit der Theologie gebrochen hat. Forthin lebt er als freier Schriftsteller in Berlin, seit 1844 in Rixdorf (dem heutigen Neukölln), wo er nebenbei einen Hof bewirtschaftet. Jede Woche einmal lässt er sich in die Hauptstadt mitnehmen, verkauft seine Erzeugnisse, versieht sich mit den neuesten Zeitungen, macht Besuche, liefert bei Verlegern seine Artikel ab. Frauengeschichten gibt es nicht, nur der Familie seines Bruders steht er nahe. Die Freundschaft zu Marx ist zerbrochen; bereits 1845 rechnen Marx und Engels in der »Heiligen Familie« mit Bauer und den übrigen Junghegelianern ab. Am Lebensstil des Einsiedlers von Rixdorf, wie man ihn bald nennt, wird sich bis zu seinem Tode nichts ändern. Er ist ein reiner Kopfmensch, der in immer schnellerem Tempo schreibt: Bücher, Rezensionen, Aufsätze.

In »Die Fähigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden« und späteren Artikeln gestattet er sich üble antisemitische Stereotype; Europas Zukunft sieht er in einer russischen Hegemonie und Verschmelzung von Germanen- und Slawentum. Im Revolutionsjahr 1848 bewirbt er sich erfolglos um einen Sitz in der preußischen Zweiten Kammer. Zehn Jahre später übernimmt er die Chefredaktion von Hermann Wageners 23-bändigem konservativen Staats- und Gesellschaftslexikon.

Und immer wieder biblische Exegese: eine Kritik der Evangelien in acht Bänden 1850-1852, der paulinischen Briefe in drei Bänden 1852 und nach zweieinhalb Jahrzehnten schließlich 1877 das Hauptwerk: »Christus und die Caesaren. Der Ursprung des Christentums aus dem römischen Griechentum«. Der Untertitel ist die These: Das Christentum geht nicht auf Jesus und die Apostel zurück, sondern auf den hellenistisch-jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien und auf den Römer Seneca; es ist eine »Steigerung des Griechentums«. Die Gestalt Jesu ist pure literarische Fiktion.

Damit markiert Bauer einen Extrempunkt in der historischen Verortung des Urchristentums, der nach unseren viel genaueren Kenntnissen über das zeitgenössische Judentum so nicht mehr haltbar ist. Aber mit dieser Position hat er die Religionskritik des Marxismus entscheidend beeinflusst und sich in die Weltgeschichte eingeschrieben. Als er am 13. April 1882 in Rixdorf stirbt würdigt ihn Engels. Wo immer auf der Welt der Marxismus eine Zukunft hat, wird der Name Bruno Bauers im Gedächtnis bleiben.

Bauers Weg vom konservativen Schüler Marheinekes zur radikalen Linken und von dort zur imperialistischen und antisemitischen Rechten mag befremden, obwohl es (man denke an den ehemaligen RAF-Anwalt Horst Mahler) immer wieder Beispiele dafür gibt. Sein Leben war in seinem Denken aufgehoben und nicht sein Denken in seinem Leben. Ein liberaler Theologe hat ihn einmal »Die tollgewordene Logik« genannt. Darin liegt seine Tragödie.

An diesem Wochenende erinnert unter dem Titel »Ein Partisan des Weltgeistes« eine Konferenz in Jena und Eisenberg an ihn.

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