Chaos an der Bahnsteigkante

Der S-Bahn-Verkehr fordert Gleichmut und Humor von seinen Kunden

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 2 Min.

»Dass die das nicht in den Griff kriegen! Für so eine Jahreskarte zahlt man ein Vermögen«, empört sich eine ältere Dame, als sie morgens die Durchsage hört, dass ab Alexanderplatz keine S-Bahn in Richtung Westkreuz fährt.

Den Aufgang zur S-Bahn versperrt eine Tafel mit einem S- und U-Bahn-Netzplan, auf dem die ausfallenden Strecken mit dicken roten Strichen markiert sind. Dahinter steht ein Bahnmitarbeiter, der die Fahrgäste weiterdirigiert. Diese schütteln irritiert den Kopf und streben Richtung Regionalbahn davon. Zwischen Alex und Potsdam fahren vier Regionalexpress-Züge pro Stunde praktisch als S-Bahn-Ersatz

Auf dem Bahnsteig stehen die S-Bahn-Kunden dicht gedrängt. Die 34-jährige Asta Ramelyte-Hauf – unterwegs zum Zoo – konnte in den letzen Zug nicht einsteigen, weil er bereits überfüllt war. »Ich bin überrascht, hoffentlich fährt der nächste Zug auch, ich bin nämlich auf dem Weg zur Arbeit. Morgen fahre ich mit dem Fahrrad.«

Als der Zug endlich kommt, dauert es eine Weile, bis sich die Menschentrauben in die Waggons drängen können. Vor allem Kinderwagen, Fahrräder und große Gepäckstücke werden nur schwer untergebracht.

Falsche Fahrzeiten auf den Anzeigetafeln verwirren die Reisenden, und der DB-Sicherheitsmann in orangefarbener Weste, »angewiesen, die Leute zu lenken«, kann nur unbefriedigende Antworten geben: »Noch sind die Leute sehr gelassen, aber wenn das so weitergeht, wird sich das ändern.« Doch manch aufgeregter Wortwechsel ist schon zu beobachten, und ein junger Mann mit Hund schnauzt im Vorbeigehen: »Beschissen! Gerade haben wir gedacht, es ist überstanden, und jetzt das. Völlig ohne Vorwarnung!«

Das Bild am Bahnhof Charlottenburg gestaltet sich ähnlich: Verdutzte Fahrgäste vor rot-weißen Gittern, die die Aufgänge zur S-Bahn versperren. Viele auswärtige Besucher, die zur Funkausstellung auf dem Messegelände wollen, kommen nicht weiter. An den Zugängen zum S-Bahnhof hängt auf zwei DIN-A4-Blättern der schlichte Hinweis: Kein Zugverkehr Alexanderplatz-Westkreuz, Westkreuz-Nikolassee, Wartenberg-Springpfuhl, Schöneweide-Spindlersfeld, Strausberg-Strausberg Nord.

Viele steigen im morgendlichen Berufsverkehr auf U-Bahnen und Busse um. Am Bahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain zum Beispiel können die Menschen nur mühsam aussteigen, da auf dem Bahnsteig dicht an dicht die Wartenden stehen, um in die U 1 Richtung Uhlandstraße zu drängen.

Wie lange die Geduld der Kunden noch über Gebühr beansprucht wird, ist ungewiss.

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