Im Angstlabyrinth

»Sterben wollen alle mal« in der Brotfabrik

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Natürlich gibt es keine Ameisenkönige, nur Ameisenköniginnen. Darüber wird man sich schnell einig auf dem Hochhausdach. Aber der Gedanke ist verlockend. Da unten in der Stadt wimmelt alles so klein und scheinbar völlig ungeordnet herum. Doch um das Leben geht es den jungen Menschen da oben unter freiem Himmel nicht. Sie fühlen sich vom Tod angezogen, jedenfalls zeitweise, sehen ihn als einzigen Ausweg aus ihrer Pein.

Traumata und Überforderung sind dafür die Ursachen in dem Theaterstück über Suizid »Sterben wollen alle mal«, das in der Brotfabrik an der Weißenseer Spitze seine Premiere erlebte. Die Projektgruppe Plan X erarbeitete es unter Leitung von Laura Sperber und Tobias Bargmann.

Sie schufen Rollen für vier Hauptfiguren, deren Gedanken um Suizid kreisen. Klara (Karin Hanczewski), die seit ihrer Wiederbelebung nach einem Unfall oft Todessehnsucht verspürt, Krankenpfleger Benny (Steffen Roll), der immerzu anderen etwas geben will, sich selbst und seiner kranken Seele aber nicht helfen kann, Jasmin (Dorothee Marecki), die nach einer unglücklichen Kindheit nicht mehr die Kraft besitzt, mit Enttäuschungen umzugehen, und Alex, der Schauspieler (Hans Hendrik Trost), der nur scheinbar durch Selbstmord gefährdet ist. Denn er liebt sich selbst viel zu sehr, macht sich allerhand vor und spielt im Café gerne nassforsch den Weltbürger: »Marcello, la cuenta, s'il vous plaît!«

Deutlich wird in dem Stück, wie schwer es für Freunde und Angehörige ist, den seelisch Leidenden zu helfen. Klaras Freund Georg (Christian Meyer) bemüht sich sehr. Bennys Familie hat nicht die geringste Ahnung, wie schlecht es ihm geht. Und Jasmins Freund Pete (Sascha Weckwerth) will sich nicht belasten. Es ist auch schwer. In einem Angstlabyrinth sind die von Selbstmordgedanken Gequälten indes nur zeitweise oder gar nicht erreichbar. Ihr Schmerz ist nicht zu ermessen. Was macht man am Rande der Verzweiflung? Ruft man noch mal alle an übers Handy? Oder wechselt man noch ein paar Worte im Chat?

Niemand stirbt in dem Verständnis suchenden Theaterstück. Denn die jungen Leute wollen eigentlich nicht sterben. Sie wollen nur nicht leben, fühlen sich überfordert, in die Ecke gedrängt, im Stich gelassen. »Das war ich gerade gar nicht«, sagt Jasmin, nachdem sie im letzten Moment vom Rand des Hochhausdachs zurückgewichen ist.

Gut ist das alles konzipiert und gespielt. Es gibt viele weitere Rollen, die zumeist nur stimmlich wahrzunehmen sind. Sperber und Bargmann war es wohl daran gelegen, bei diesem Projekt möglichst viele Akteure einzubinden, um viele Aspekte zum Thema einzubringen. Daran krankt das zweistündige Stück etwas. Man kann aber nachvollziehen, wie schwer Verzicht für die Regie ist, die mit dem Gesang von Jeanette Hubert einen emotional starken Abschluss fand.

Nicht verlängernd sind die von Jennifer Kuntscher und Susanne Wagner erarbeiteten Videoeinspielungen. Da sieht man beispielsweise Benny, der sich kurz vor einem Patienten als Arzt ausgibt und erklärt, dass eine transplantierte Seele wenig bringt, weil sie zumeist von dem Körper, in den sie verpflanzt wurde, abgestoßen werde.

Ohne sparsam eingesetzten schwarzen Humor geht es also nicht ab bei der Produktion, für die gründlich recherchiert wurde. Genannt werden dafür Kooperationspartner wie Freunde fürs Leben, die Beratungsstelle NEUhland, die Humboldt-Uni, die Universität der Künste und andere. Überdies bietet die Gruppe nach jeder Aufführung Gespräche und Einzelberatung durch Therapeuten an.

Das Thema ist nah am Leben. Überforderungssituationen bei jungen Menschen gehören zum Alltag. Deshalb kann man sich nur wünschen, dass auch andere Bühnen diesem Theaterstück, das nur kurz in der Brotfabrik zu sehen war, Raum bieten. Für Ameisenkönige und andere, die es nicht werden sollen.

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