Blind für neue Therapien

Kassen wollen bei altersbedingter Augenerkrankung oft nicht zahlen

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 3 Min.
Rund 4,5 Millionen Menschen leiden hierzulande an altersabhängiger Makuladegeneration (AMD), die unbehandelt zur Erblindung führen kann. Bewährte und neue Therapien geben Hoffnung, Altersblindheit lange aufzuhalten. Doch die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen oft nicht einmal zuverlässige Diagnoseverfahren.

AMD ist die bei Weitem häufigste Ursache für Erblindung, eine »wahre Volkskrankheit«, von der infolge steigender Lebenserwartung immer mehr alte Menschen betroffen sind, betonte Prof. Dr. Frank G. Holz, Direktor der Universitätsaugenklinik Bonn und Vorstand der Stiftung Auge, dieser Tage in Berlin. Er verwies auf kürzlich entdeckte genetische Variationen, die das Risiko einer AMD erhöhen, aber auch auf beeinflussbare Faktoren wie Rauchen, Übergewicht, hohe Fettaufnahme und Bluthochdruck. Zugleich gibt es eine Reihe neuer Substanzen, deren Wirksamkeit bei der Behandlung sowohl der feuchten AMD als auch der trockenen Spätform in klinischen Studien erforscht wird.

Bei der feuchten AMD sieht Holz bereits einen Durchbruch: Sogenannte VEGF-Hemmer, die ins Auge gespritzt werden, hemmen nicht nur wie das seit 2005 bei über 10 000 AMD-Patienten bewährte Krebsmedikament Avastin das Wachstum der unter der Netzhaut wuchernden neuen Blutgefäße und dichten sie ab. Das 2007 zugelassene, speziell für AMD entwickelte Lucentis verbessert sogar bei über 30 Prozent der Patienten das Sehen. Und der gerade in der klinischen Prüfung befindliche Wirkstoff VEGF Trap-Eye muss möglicherweise weniger häufig als andere Präparate in den Glaskörper gespritzt werden.

»Es geht also um eine individualisierte Therapie, die für jeden einzelnen Patienten unterschiedlich zu dosieren ist, je nachdem, wie aggressiv die Erkrankung verläuft. Bleiben diese Untersuchungen aus und kommt die Spritze zu spät, wird meist das Niveau des Sehvermögens von zuvor nicht wieder erreicht«, erläuterte Holz. Augenärzte empfehlen ab einem Alter von 40 Jahren grundsätzlich regelmäßige Untersuchungen, um frühzeitig Ablagerungen und Gefäßwucherungen im Bereich des Gelben Flecks der Netzhaut zu erkennen. »Als besonders hilfreich haben sich neue, hochauflösende Bildgebungstechnologien der Netzhaut erwiesen«, so Holz. Doch Dr. Simone C. Potthöfer, niedergelassene Augenärztin aus Berlin, beklagt, dass nicht nur die Optische Kohärenztomographie (OCT), sondern auch die für eine exakte Diagnose der feuchten AMD wichtige Fluoreszenzangiographie des Gefäßbettes des Auges von den meisten gesetzlichen Kassen nicht mehr vergütet werden. Bis 2008 gab es dafür eine eigene Abrechnungsziffer. GKV-Versicherte werden jetzt vor die Wahl gestellt: Selbst zusätzlich tief in die Tasche greifen oder hoffen, dass der Arzt auch ohne diese Untersuchung die richtige Therapie wählt. Selbst die wird allerdings nicht immer von der GKV finanziert. So übernehmen die wenigsten Kassen die Kosten für eine bestimmte Kombination hochdosierter Vitamine und Mineralien, die neben gesunder Ernährung in der frühen trockenen AMD erwiesenermaßen die Ablagerung toxischer Abbauprodukte (Drusen) auf der Netzhaut positiv beeinflusst.

Betroffene dürften kaum Hoffnung darauf haben, schon bald von neuen Therapien der feuchten wie der trockenen Spätform profitieren zu können, die derzeit in sogenannten Phase-II-Studien detailliert geprüft werden. Dazu gehören verschiedene Substanzen, die die Anhäufung toxischer Abbauprodukte, die letztlich den Gelben Fleck der Netzhaut samt Fovea centralis, dem Bereich des schärfsten Sehens von nur 1,5 mm Durchmesser, zu einem »grauen« blinden Fleck (siehe Abb.) macht, verhindern. Sie werden z. T. durch Augentropfen in den Glaskörper eingebracht, in einem Falle sogar über einen längeren Zeitraum durch ein operativ ins Auge eingesetztes Implantat abgegeben. Aufwändig und damit nicht billig dürfte auch eine neue Therapie der »feuchten« AMD sein, die Ende September bei einem Fachkongress in Leipzig vorgestellt wird: Die zweimalige Injektion von Lucentis wird dabei mit einer Bestrahlung der Netzhaut durch Strontium 90 kombiniert. Die Hoffnung: geringere Belastung der Patienten durch weniger Spritzen und damit auf lange Sicht auch geringere Kosten.

Immer älter zu werden ohne zu erblinden, wird so zu einer realen Perspektive. Bleibt zu sichern, dass sie nicht nur jene haben, die es sich leisten können.

Informationen zu Patientenrechten: www-proretina.de

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