Fürchterlich fremd

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

»Love me tender....« klingt aus dem Lautsprecher. Tja, wenn das so einfach wäre, gleich oder überhaupt miteinander auszukommen, wenn man aufeinander trifft. Drei Menschen werden auf die Welt losgelassen und müssen sehen, wie sie damit klarkommen. Bei der Geburt sind alle gleich. Drei Biografien entstehen in der neuen Tanztheaterproduktion der Gruppe Nightmare Before Valentine. Drei Leben bauen sich auf in »Alien Island« – Kindheiten in den USA, in Westdeutschland und in Ostdeutschland. Es geht zurück in die Zeit vor dem Umbruch. Die Gruppe reiht sich mit dieser Arbeit in die künstlerische Umsetzung des aktuellen Mauerfall-Themas ein und brachte ihr Stück in der Brotfabrik zur Uraufführung.

Birgitt Bodinghauer, Andriana Seecker, Christin Maaß und Uta Rössler haben die Inszenierung gemeinsam konzipiert und Schritt für Schritt erarbeitet. Sie setzen es tänzerisch in der für sie typischen Art um. Hart und ehrlich sind die Bewegungen. Ihre Arbeit kennt keine Halbherzigkeit. Auch Aggressivität ist immer im Spiel. Sie malträtieren geradezu ihre Körper. Auf lange Sicht werden sie so nicht arbeiten können. Noch aber kann man dieses kraftvolle Vermögen bewundern.

Getanzt wird barfuß in einfacher Kostümierung. Jeannine Simon hat sie entworfen. Die Gruppe arbeitet mit gewohnt wenig und ungewöhnlicher Kulisse. Diesmal sind es Zinkwannen, eine auf einem Stahlgestell ruhende Plattform, ein Helm, Plastiktüten, Rollschuhe, eine Gießkanne, die zur Maske wird, und ein ferngesteuerter Gartenzwerg, der sich auf Rädern durch den Raum bewegt. Der Zwerg soll wohl für alle das Heimatsymbol sein. Er taucht auf und zieht seine Bahnen unabhängig vom Willen der Protagonistinnen.

Die präsentieren sich zunächst einzeln. Mehr oder weniger perfekt ist ihr Leben. Niedlich, naiv und behütet die eine, wie zum Karrieremachen programmiert die Zweite, suchend, für alles offen, aber gebremst, die Dritte. Die Tänzerinnen machen Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich. Alle drei werden schließlich in gleicher Art mit Konsumgehabe konfrontiert. Aber nicht für alle sind die Tüten gleich gefüllt. Zwei von ihnen finden schneller Gemeinsamkeiten und zeigen gegenüber der Dritten kurz und deutlich die Siegerpose. Neue Bilder entstehen und verschwinden schnell wieder. Jeder kann jederzeit in die Verlegenheit kommen, sich fremd und verloren zu fühlen. Im Programmheft zitiert die Tanzkompanie aus »Monsieur Malaussene« von Daniel Pennac: »Ja, so sieht es wohl aus, das Glück: Man ist zufrieden, nicht der andere zu sein.«

Musik und Sounddesign zum Tanztheater kommt von TEX, Carsten Wilhelm. Auch dieses Konzept ist gut, nicht aufdringlich und unterwirft sich der tänzerischen Absicht. Es vereint Klänge, Stimmen, Geräusche, Stille und stützt so auf seine Art die mit dem Stück beabsichtigte Reise in vergangene Jahre.

Nightmare Before Valentine zeigte im vergangenen Sommer in der Brotfabrik bereits ihre Produktion »Früchte im Koma«. Die Truppe verfolgt das Ziel, zeitgenössischen Tanz aus dem Elitären zu holen und einem Publikum anzubieten, dass sonst nicht damit in Berührung kommt. So stellen sich die Tänzerinnen auch auf Auftritte in Cafés, Kneipen oder Events ein. Gefällige Kunst ist dabei aber nicht ihr Ding.

Auch wenn hier schon jeder Schritt stimmt – an das Niveau der Produktion »Früchte im Koma« kommt das neue Stück »Alien Island« noch nicht heran. Dazu ist es noch zu frisch, zu neu. Das ist jedoch keine Frage des Konzepts, sondern eines der Identifikation. Man kann gewiss sein, dass die mit jeder weiteren Aufführung wächst.

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