Physik und Geisterbeschwörung

Vor 175 Jahren wurde der Naturforscher Karl Friedrich Zöllner geboren

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Jahrhunderte lang interessierten sich die Astronomen vor allem für die Bewegung der Himmelskörper, die zu diesem Zweck als strukturlose Massenpunkte betrachtet wurden. Das änderte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als einige Wissenschaftler begannen, auch nach der physischen Beschaffenheit kosmischer Objekte zu fragen. Dabei entstand eine neue Forschungsdisziplin, für die der deutsche Physiker Karl Friedrich Zöllner den Namen »Astrophysik« prägte und an deren Fundierung er selbst maßgeblich beteiligt war.

Zöllner wurde am 8. November 1834 in Berlin geboren. Er besuchte das Köllnische Gymnasium und nahm anschließend an der Berliner Universität ein Studium der Naturwissenschaften auf, welches er in Basel fortsetzte. Nach dem Erwerb des Doktortitels wechselte er 1862 an die Universität Leipzig. Hier wurde er 1866 zum außerordentlichen und 1872 zum ordentlichen Professor für physikalische Astronomie berufen.

Außerdem hielt Zöllner Vorlesungen über Mathematik, Meteorologie, Erkenntnislehre sowie über philosophische Fragen der Naturwissenschaften. Er fand damit bei seinen Hörern großen Anklang, zumal es ihm nach deren Aussagen gelang, »über schwierige Dinge besonders eindrucksvoll und verständlich zu reden«. Schon während seiner Studienzeit hatte Zöllner sich der Fotometrie und somit der Aufgabe zugewandt, die Helligkeit verschiedener Lichtquellen miteinander zu vergleichen. In Basel konstruierte er für solche Beobachtungen ein leicht zu handhabendes Fotometer, welches dennoch durch seine hohe Messgenauigkeit bestach. In diesem Gerät, dem sogenannten Zöllnerschen Fotometer, kann eine künstliche Lichtquelle solange abgeschwächt werden, bis sie mit einem beobachteten Stern gleiche Helligkeit zeigt. Aber auch andere Eigenschaften kosmischer Objekte ließen sich mit dem neuen Apparat feststellen. So kam Zöllner bei der fotometrischen Untersuchung des Planeten Merkur zu dem Schluss, dass dies ein Himmelskörper sei, »dessen Oberflächenbeschaffenheit mit derjenigen des Mondes sehr nahe übereinstimmt«. Folglich besitze wohl auch der Merkur keine nennenswerte Atmosphäre. Erst 1973 hat die US-Raumsonde »Mariner 10« diese Vermutung bestätigt.

Die Tatsache, »dass die allgemeinen und wesentlichen Eigenschaften der Materie im unendlichen Raume überall dieselben sind«, war für Zöllner eine der Grundvoraussetzungen der Astrophysik. Darüber hinaus machte er unmissverständlich klar, dass bei der Untersuchung der physischen Beschaffenheit von Himmelskörpern nur Naturgesetze anzuwenden seien. Umso größer war das Entsetzen bei vielen Naturforschern, als Zöllner in den 1870er Jahren immer mehr Gefallen am Spiritismus fand, der aus den USA kommend seinerzeit auch in Deutschland an Einfluss gewann. In Leipzig experimentierte Zöllner mit dem als »Medium« auftretenden Amerikaner Henry Slade, der vorgab, er könne Tische allein durch Geisteskraft bewegen. Bei der Analyse solcher Erscheinungen meinte Zöllner entdeckt zu haben, dass nicht das Medium selbst die spiritistischen Phänomene verursache, sondern dass jenseitige Wesenheiten dies täten. Doch wo hielten sich diese Geschöpfe auf? In seinen »Wissenschaftlichen Abhandlungen« (1878) lüftete Zöllner das »Geheimnis«: in der vierten Dimension des Raumes. Dort sei es jenen Geistwesen auch möglich, erklärte er weiter, Gegenstände aus geschlossenen Behältern herauszubefördern, ohne dabei die Wände zu öffnen oder zu beschädigen.

Neben Zöllner besuchten namentlich der Physiker Gustav Theodor Fechner und der Psychologe Wilhelm Wundt die Vorstellungen von Slade. Während Fechner danach glaubte, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei, sprach Wundt von Slade als einem Taschenspieler und Betrüger. Übrigens: In seinem brillanten Aufsatz »Die Naturforschung in der Geisterwelt« nahm auch Friedrich Engels Zöllners »vierte Dimension« spöttisch aufs Korn. Außerdem gab er auf die Frage, warum selbst erfahrene Wissenschaftler dem Spiritismus huldigten, eine bis heute bedenkenswerte Antwort: Weil diese Wissenschaftler das theoretische und dialektische Denken missachteten, stünden sie der »allerplattesten Empirie« kritik- und hilflos gegenüber.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal