Körperexplosionen

Nir de Volff zeigt »Matkot« im Dock 11

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Dock 11 ist mitten im Dezember der Sommer ausgebrochen. Der israelische Tänzer und Performer Nir De Volff hat ein Stück seines Heimatstrandes aus Tel Aviv in eine ehemalige Fabrikhalle in Prenzlauer Berg geschafft. Es ist schon paradox, wie das in Wintermäntel eingemummelte Publikum auf die vier nur mit Badebekleidung versehenen Akteure blickt. Noch paradoxer wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Deutsche im Winterkleid (Achtung: Stalingrad!, Achtung: KZ!) auf einen fast komplett entblößten und daher schutzlos wirkenden Juden schauen.

Solche historisch kontaminierten Gedanken vertreibt der ehemalige Soldat und heutige Tänzer De Volff aber schnell. Sein massiger Körper strahlt eine im Mager-Universum Tanz ungewohnte Aura aus. Er kann Buddha sein, aber auch Prolet oder Schwerathlet. So, wie er am Kunststrand lagert, erzählt er eine Geschichte von ganz gewöhnlichen Körpern. Als er sich exzessiv mit einem aufgeblasenen Schwimmreif bearbeitet, erweist er nicht nur seinem Kompanie-Namen »Total Brutal« alle Ehre. Er gibt auch gleich einen Hinweis darauf, dass die Gewöhnlichkeit des Strandlebens in diesem nach dem hebräischen Namen für Beachball (»Matkot«) benannten Stück permanent mit unvermittelten Ausbrüchen von Selbst- und Fremdaggression durchbrochen werden wird. Der Kontrast aus lieblicher Urlaubsstimmung und hoch schießender Gewalt ist das Leitmotiv.

De Volffs Partnerin Hyoung-Min Kim stellt eine exzentrische Urlauberin dar, die mal auf der Suche nach ihrem Handy in einem Stakkato in die Luft fliegender Gliedmaßen explodiert, mal De Volff mit Schwimmring, Fäusten und Füßen traktiert und schließlich tot aus dem Meer zurückdriftet. Als Fast-Leiche wird sie zunächst von Johanna Chemnitz, danach von Ido Portal versorgt .

Chemnitz ist – abgesehen von der Rettungsaktion – eine postmoderne Sirene, die ihr verführerisches Sirren in eine von Elektrizität durchtoste Körperperformance transformiert. Der Capoeira-Profi Ido Portal hingegen stellt, wenn er mal nicht Mund-zu-Mund-Beatmung praktiziert, einen arroganten, in das Dehnungsvermögen des eigenen Körpers verliebten Bademeister dar. Erregungspausen bietet dieser Abend lediglich, wenn Nir De Volff und Hyoung-Min Kim das Titel gebende Matkot-Spiel vorführen.

De Volff setzt in seinem neuen Stück die performativen Instrumente ein, die in seinen früheren Arbeiten zu begeistern wussten. Dort nämlich waren sie direkt auf die politische Aufladung Israels aus den Spannungspolen von Holocaust und Palästinenserbekämpfung gerichtet. In »Matkot« ist das Thema zu profan; die Werkzeuge wirken nicht mehr wie von einem blitzschnellen und irre wirkenden Gesellschaftschirurgen eingesetzt, sondern nur noch rabiat.

De Volffs »totaler Brutalität« geht in »Matkot« das Objekt verloren, das seine Gewalttätigkeit erst zur Sinn und Irrsinn stiftenden Kunstform erheben könnte. So bleiben hier nur die technischen Fertigkeiten der Akteure bei den Körperexplosionen zu bewundern.

4.-6.12., 20.30 Dock 11, Kastanienallee 79, Karten 12/10 Euro

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