Im Zweifel für die Angeklagten

Freispruch nach Mai-Krawallen – Aussage der Polizisten zweifelhaft

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Familienangehörige und Freunde brachen bei der Verkündung des Urteils in Jubel aus. Neun Monate nach den Mai-Krawallen hat das Landgericht zwei junge Männer vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen.

Fünf Monate hatte das Gericht Woche für Woche verhandelt, Dutzende Zeugen und Gutachter gehört. Bis es gestern zu dem Schluss kam: Der 17-jährige Rigo B. und der 20-jährige Yunus K. sind vom Vorwurf des versuchten Mordes freizusprechen. Laut Anklage sollen die beiden Jugendlichen in den Abendstunden das 1. Mai 2009 am Kottbusser Tor einen Brandsatz in Richtung der Polizei geworfen haben. Ein aus einer Menge geschleuderter Molotow-Cocktail traf eine Passantin, die schwere Brandverletzungen erlitt. Minuten später griffen Polizisten zu und verhafteten die beiden Jugendlichen, die dann sofort in Untersuchungshaft kamen.

Immer wieder hatten sie ihre Unschuld beteuert. Das Gericht hatte zum Ende des Verfahrens erhebliche Zweifel an der Darstellung der Polizisten, die das Geschehen beobachtet haben wollen. Deshalb konnte es nach Überzeugung der Jugendkammer nur einen Freispruch geben. Es wurde kein Freispruch wegen erwiesener Unschuld, wie es die Verteidigung forderte, sondern wegen der Möglichkeit einer Verwechselung – im Zweifel für die Angeklagten.

Am 1. September begann der Prozess, der sich deutlich abhob von den sonst üblichen Gerichtsritualen nach gewalttätigen Mai-Auseinandersetzungen. Erstmals wurde wegen versuchten Mordes angeklagt. Mit gemeingefährlichen Mitteln hätten die beiden Beschuldigten versucht, einen Menschen zu töten, klagte Staatsanwalt Ralph Knispel an.

Doch schon bei dieser Anklage gab es ernsthafte Zweifel, denn Mordversuch setzt Heimtücke und Tötungsabsicht voraus. Dafür gab es von Anfang an keinen Beweis. Doch Polizei und Staatsanwaltschaft standen im Vorfeld des 1. Mai unter erheblichem Erfolgsdruck und kündigten an, bei Gewalttaten hart durchzugreifen.

Der Fall schien eindeutig. Zwei Polizisten wollten genau beobachtet haben, wie die Jungs die Brandflasche aus dem Rucksack holten, anzündeten und in Richtung Polizei warfen. Eine Verwechselung sei völlig ausgeschlossen, erklärten sie vor Gericht. Die Verteidigerinnen lieferten jedoch Beweise für die Unschuld ihrer Mandanten: Es meldeten sich Zeugen, die die tatsächlichen Täter beobachtet hatten. Ein wichtiges Indiz: An der Kleidung wurden keinerlei Spuren eines Brandbeschleunigers gefunden. Wäre es so geschehen, wie die Polizisten es behauptet hatten, hätten sich Reste von Benzin an den Kleidungsstücken finden müssen, erklärten Gutachter. Das aber war nicht geschehen. Die Jugendlichen hatten erwiesenermaßen keine Rucksäcke oder Beutel bei sich, wo sie den Brandsatz aufbewahrt haben sollten.

Auch wenn es zum Freispruch kam, bestraft wurden Rigo und Yunus dennoch hart: mit sieben monatelanger Untersuchungshaft. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass Richter genauer hinhören werden, wenn es Polizisten ihre Aussagen vor Gericht machen.

Der 20-jährige Yunus zeigte sich enttäuscht: Er habe mehr als einen Freispruch zweiter Klasse erwartet. Für die Haft werden die Freigesprochenen entschädigt.

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