Eine Frau gesucht, die es nicht gibt

Die Vietnamesin Phuong lebte illegal in Berlin – wurde sie zur Zwangsprostitution verschleppt?

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 4 Min.

»Phuong vermisst« steht auf Deutsch und Vietnamesisch auf dem Plakat, das in Berliner Asiamärkten hängt. Darauf lächelt eine 21-jährige mandeläugige Schönheit mit einem noch kindlichen Gesicht.

Die Vietnamesin verschwand am 18. November spurlos. Vermutlich im Frühsommer war das Mädchen aus einer ländlichen Region in Vietnam nach Deutschland eingereist. Illegal, mit Hilfe von Schleppern. Erst drei Wochen vor ihrem Verschwinden hatte sie Asyl beantragt, unter falschem Namen, mit falschen Angaben zu ihrer Herkunft. Offiziell gibt es Phuong in Deutschland gar nicht.

Doch auch Menschen, die in keinem Melderegister auftauchen, haben Angehörige, die sich um sie sorgen. Das war Phuongs 39-jährige Tante.

Am Morgen des 18. November hatte Phuong gegen neun Uhr deren Wohnung verlassen. Sie hatte sich verabschiedet und wollte in der Frankfurter Allee die bunte Glitzerwelt bestaunen. Phuong stammt aus ländlichen Verhältnissen in Vietnam. In Berlin brachte sie das Kind der Tante morgens in die Kita, holte es am Nachmittag wieder ab und ging zwischendurch spazieren oder machte sich im Haushalt der Tante nützlich. Zigaretten verkaufte sie nicht. Doch das heißt auch: Sie verdiente kein Geld, um Schlepperschulden abzuzahlen. Nach Erkenntnissen der Polizei kostet eine Schleusung von Vietnam nach Deutschland zwischen 8000 und 25 000 Euro. Nur einen Bruchteil davon zahlen die Vietnamesen zu Beginn. Der Löwenanteil wird in Deutschland durch den Verkauf von unverzollten Zigaretten abgearbeitet. Phuong wäre nicht die erste Vietnamesin, die entführt wurde, weil sie nicht gezahlt hatte.

Peter M. (Name von der Redaktion geändert), eigentlich Unternehmensberater für vietnamesische Firmen, unterstützt als Privatdetektiv die Suche nach Phuong. Er hat in allen Berliner Krankenhäusern und im Abschiebegewahrsam nachgefragt. Nirgendwo war Phuong aufgetaucht. Bei der Polizei dauerte es lange, bis man die Suche nach einer Frau, die es offiziell gar nicht gibt, ernst nahm. Inzwischen ermittelt das Landeskriminalamt und hat Indizien für ein Kapitalverbrechen. Zwei Bordelle wurden bereits gestürmt. In einem Fall war es Fehlalarm. Im anderen konnte eine andere Vietnamesin aus der Zwangsprostitution befreit werden. »Wegen der laufenden Ermittlungen äußern wir uns nicht zu Einzelheiten«, sagt eine Sprecherin.

Möglicherweise wurde Phuong – wie die übergroße Zahl der Asylbewerber aus Vietnam – von ihrer Familie mit dem Auftrag nach Deutschland geschickt, hier Geld zu verdienen. Die Tante hatte sich ein paar Jahre zuvor unter ähnlichen Umständen auf den Weg gemacht und lebt heute mit einem deutschen Mann und dem gemeinsamen Kind zusammen. Legal.

Der Privatdetektiv hängte Suchplakate in Asiamärkten aus. Es gab Reaktionen. Eine Vietnamesin, die bei einer Beratungsstelle arbeitete, meinte, Phuong könnte von der Tante weggelaufen sein. Es gäbe einige vietnamesische Jugendliche, die sich in Deutschland aus den Fesseln strenger Familienhierarchien befreien und ihren eigenen Weg versuchen, sagte sie M..

Andere vermuteten Phuong auf dem Weg nach Großbritannien. Die Insel ist seit Jahren der Traum von Vietnamesen, die schnell zu Geld kommen wollen. Dort blühen allerlei illegale Erwerbszweige. Doch ein dritter Hinweis war konkreter: Ein Unbekannter hatte auf Vietnamesisch auf ein Plakate geschmiert: »Ich habe sie gefunden. Aber ich sage nichts, damit ich sie länger benutzen kann.« Männliche Wichtigtuerei oder tatsächlich ein Hinweis auf eine Verschleppung in die Zwangsprostitution? Viel spricht für Letzteres, denn auf dem Plakat, das die Polizei inzwischen konfisziert hat, stand außerdem: »Hai Duong, Tuky«. Hai Duong ist der Name von Phuongs Heimatprovinz in Vietnam, Tuky der Name ihres Kreises.

Bei den deutschen Behörden hat sie andere Angaben zu ihrer Herkunft gemacht. Wer das geschmiert hat, muss sie gekannt haben. Peter M. ahnt nur, wie schwer die Suche der Polizei nach Menschen ist, die Phuong gekannt haben. Wer zugibt, sie hier beherbergt oder beköstigt zu haben, bevor sie ihren Asylantrag gestellt hatte, kann sich strafbar gemacht haben: wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Ohne ihren Spuren in Deutschland nachzugehen, kann Phuong aber kaum befreit werden. Falls sie noch lebt.

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