Einkaufszentrum oder »Sternchen« in Cottbus

  • Klaus Muche, Cottbus
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Stadtplaner halten ein zentrales Shopping-Center in Cottbus für unabdingbar. Eine studentische Initiative protestiert und sucht nach Alternativen. Die endgültige Entscheidung steht in den nächsten Wochen ins Haus.

Cottbus träumt immer noch von Größe. Auf 180000 Einwohner sollte die Stadt einmal wachsen. Auf 80000 könnte sie nach Prognosen der Stadtplaner schrumpfen. Derzeit liegt die Einwohnerzahl knapp über hunderttausend. Viele in Cottbus haben Angst vor der Bedeutungslosigkeit - die dürfte irgendwo bei 60000 liegen. Gegen Einwohnerschwund kennt das Rathaus nur eins: Eingemeinden, was sich eingemeinden lässt. Das schönt die Statistik und hält den Traum von der Großstadt am Leben. Einst kamen viele Mecklenburger und Sachsen zum Arbeiten nach Cottbus. Jetzt ist von den Textilbetrieben und Brikettfabriken nichts mehr übrig. Dafür ließe sich mit den Arbeitslosen von Cottbus und Umgebung das Energie-Stadion im Schichtbetrieb gut dreimal füllen. Bundesgartenschau und »industrielle Kerne« konnten die Flucht der Jugend nach Westen nicht verhindern. Neue Unternehmen entstehen selten, und gemessen am arbeitsamtlichen Bedarf sind sie alle sehr bescheiden. Die Stadt scheint sich jetzt auf die belebende Wirkung des Handels zu besinnen. Unterstützt wird sie dabei vom Jugendhilfeausschuss, dessen Vorsitzender weiß, was die Jugend will: hemmungslos shoppen. Dazu gehöre vor allem das Wühlen im »hochpreisigen Segment«. Also dem, was Aldi gerade nicht zu bieten hat. Doch nicht nur in Cottbus wird um preisbewusste Kunden geworben, sondern auch auf den grünen Wiesen ringsum. Hier ohne steuerliche Beteiligung der Stadt. Dort, noch vor der Autobahn, steht ohne städtische Erlaubnis das eigentliche Zentrum des bevölkerungsreichsten Stadtteils Sachsendorf. Die Sachsendorfer pilgern zum Einkauf und Kinobesuch hierher. Die Autokolonnen aus dem Süden, dem Osten und dem Westen stranden an dieser Stelle. Die Besucher aus dem Norden dagegen bleiben in Sielow, wo eine zweite Shopping-Mall errichtet wurde - die im unterschied zu der in der Nähe Sachsendorfs allerdings inzwischen eingemeindet werden konnte. Für die Stadt ist die Auslagerung kommerzieller Zentren ein großes Problem. Gelöst werden könne es nur, meinen die Stadtplaner, wenn die Innenstadt aufgerüstet werde. Dazu bietet sich mit der Hamburger Betreibergesellschaft für Shopping-Zentren »ECE« ein scheinbar geeigneter Partner. 343000 Kunden für das »hochpreisige Segment« hat das ECE-Management im Umkreis von einer halben Stunde um Cottbus ausgemacht. Für sie soll die »City-Galerie« mit 20000 qm Verkaufsfläche gebaut werden. Dazu Stellplätze für 700 Fahrzeuge. ECE hat sich zwischen Hamburg und und dem türkischen Antalya einen Namen gemacht. Weniger als 1200 Arbeitsplätze entstehen bei den großen Projekten des Bauträgers selten. Auch in der Lausitz hat das ECE schon gebaut: Das Lausitz-Center in Hoyerswerda, passend für die Stadt der Pensionäre mit viel Grün und Wasserspiel zwischen den kleinen Läden. Kein Wunder also, dass viele in der Stadtverwaltung vom Projekt des ECE hellauf begeistert sind. Das Stadtvolk allerdings ist gespalten. Viele hängen an dem, was jetzt an Stelle des geplanten Warenhauses steht: die backsteinerne Blechenschule, das immer noch vorhandene grüne Band rings um das historische Stadtzentrum. Und vor allem auch das »Sternchen«, architektonisches Denkmal der DDR-Moderne und früher ein beliebtes Cafe. Gegen den Bau wurden Unterschriften gesammelt, immerhin 7000. Dazu 11500 gegen die Abrisspläne. Zum Entwurf eines Bebauungsplans kamen über 4000 Einwendungen, sortiert in 300 einzelne Sachverhalte. Doch das Rathaus blieb eisern. In den Streit fiel auch die Oberbürgermeisterwahl. Fast alle Kandidaten erklärten sich für das ECE. Nur Karin Rätzel hielt dagegen - und gewann die Wahl. Inzwischen deutet sich ein Kompromiss an: »ECE ja, aber in einer kleineren Variante«. Vielleicht so wie in Hoyerswerda. Das Management jedoch will alles oder nichts. Ratlosen Bürgern, die sich fragen, wer die teuren Klamotten kaufen soll, werden Gutachten präsentiert. Cottbus habe gemessen an Stadtgröße und Bedeutung ein zu kleines Zentrum. Im Sortiment der Händler fehle die Sortimentstiefe. Immerhin, Cottbus ist verwaltungstechnisch ein Oberzentrum mit vielen teuren Beamten, hat zwei Universitäten mit Studenten, die nicht unbedingt arm sind, ein Verwaltungs- und ein Finanzgericht, einige junge Unternehmer und sicherlich auch ein paar Konkursbetrüger. Die Renten der Energie- und Bergarbeiter nicht mitgerechnet. Der Abteilungsleiter der Stadtentwicklung ergänzt: »Ein oder zwei Boutiquen sind einfach zu wenig«, sagt Thomas Kramer, »und wer hier nicht sein Geld ausgibt, fährt nach Berlin oder Dresden.« Wo das ECE ebenfalls Shopping-Malls unterhält oder gerade baut. »Das Angebot im ECE wird natürlich attraktiv sein«, hält Anne Pfeifer dagegen, die Stadt- und Regionalplanung an der BTU studiert. »Aber ringsum geht der Rest ein und wird veröden.« Mit Architekten und Denkmalschützern hat sie eine Protestgruppe gegründet, die »STADTisten«. Die Gruppe will nicht nur protestieren, sondern auch nach Alternativen suchen: Eine wäre, die 20000 Quadratmeter Verkaufsflächen auf Standorte in der Innenstadt zu verteilen. Baulücken gebe es genug. Aber das ECE-Management lässt sich nicht auf Baulücken verteilen. Es will Bauland im Zentrum und am Stück. Und das beste Stück liegt nun mal zwischen dem früheren Konsument-Warenhaus und dem alten Stadtzentrum. Dort, wo die Blechenschule und das »Sternchen« stehen. Gutachter und Experten dagegen betonen, dass der Stadt gegenwärtig nur noch klotzen hilft. Die ausgelagerten Stadtzentren ringsum sind tödlich für die Innenstadt. Cottbus brauche wenigstens 20000 Quadratmeter bester Ladenfläche zusätzlich. Und ein Multiplexkino. Das aber, verrät ein Insider, käme wohl nur dann, wenn auch das ECE käme. Wer traut sich schon allein nach Cottbus? Mitten im Planungsgebiet liegt also das »Sternchen«. Früher gingen alle gern zum Eisessen dorthin. Auch heute tummeln sich dort nicht nur die Ratten. Nachts verewigen sich Sprayer an den Wänden, tagsüber kommen Schüler her, um ihre Pausen zu verbringen. Das Sternchen könnte aber durchaus besser genutzt werden: Im Keller befinden sich nicht nur die Toiletten, sondern auch ein Luftschutzbunker. Das unterirdische Ausfalltor könnte der Belieferung dienen, und der bombensichere Keller vertrüge Techno jeder Lautstärke. Arabische und afrikanische Studenten könnten dort einen Platz finden, meinen die »STADTisten«. Die Form des »Sternchen« kommt nicht von ungefähr: Der sechszackige Stern erinnert daran, dass unter dem heutigen Galeria-Kaufhof, kaum mehr als einen Steinwurf entfernt, der jüdische Friedhof begraben liegt. Das Sternchen ist eigentlich ein Davidstern. Im Mai soll die letzte Lesung den Bauausschuß passieren. Dann soll der Bau beginnen. Klagen darf dann keiner mehr, sonst, so fürchten die Freunde des hochpreisigen ...

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