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Ein »verrottetes Parlament«

Anklagen gegen Abgeordnete im Londoner Spesenskandal

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Über die Hälfte der britischen Abgeordneten muss unrechtmäßig beantragte Spesen im Gesamtwert von 1,4 Millionen Euro zurückzahlen. Drei Labour-Abgeordneten und einem konservativen Lord drohen Prozesse und bis zu sieben Jahre Haft.

»Das verrottete Parlament«, titelte der konservative »Daily Telegraph«, der den Skandal enthüllt hatte, und bemängelte, dass die Volksvertreter »gelangweilte, geldgierige Gauner« seien. Das bezog die Zeitung vor allem auf die drei Labour-Abgeordneten Elliot Morley, David Chaytor und Jim Devine, die als angeblich schlimmste Sünder ab April vor Gericht stehen könnten. Morley, ein ehemaliger Umweltminister, hat 18 Monate lang die Auslagen für eine bereits abbezahlte Hypothek von der öffentlichen Hand erstatten lassen. Hinterbänkler Chaytor bekam die Mietkosten für eine Wohnung erstattet, die ihm selbst gehörte, während Devine für Wohnungsreinigung und Schreibpapier gefälschte Quittungen vorgelegt haben soll. Dabei verdient ein einfacher Abgeordneter umgerechnet knapp 6000 Euro im Monat, das Dreifache des Durchschnittsgehalts im Lande.

Die Beschuldigten fühlen sich als Opfer einer unklaren, sich im nachhinein ändernden Gesetzeslage. Sie wollen sich angeblich mit der Doktrin des »parlamentarischen Privilegs« vor einem Prozess drücken, sich also nicht vor zwölf Geschworenen, sondern nur vor einem Ausschuss anderer Parlamentarier verantworten. Das dürfte nicht zur Beruhigung des Wahlvolkes beitragen, wie Liberalenführer Nick Clegg feststellte. Das angeführte Gesetz sei 1689 zum Schutz der Redefreiheit der Abgeordneten gegen die Willkür des Königshauses verabschiedet worden und habe mit den Spesentricks des 21. Jahrhunderts nichts zu tun.

Dabei sind diese Fälle – auch der Fall des Tory-Lords Hanningfield, der als Oppositionssprecher im Oberhaus eilig zurücktrat – nur die Spitze des Eisbergs. Labour-Abgeordnete beanspruchten Volkes Hilfe bei Badestöpseln und Pornofilmen für den Gatten. Noch bunter trieben es die Tories: hier mal 20 000 Euro für die Reinigung des Grabens von Douglas Hoggs Wasserschloss, da eine ähnliche Summe für die künstliche Insel auf dem Gut von Sir Peter Viggers zugunsten der dortigen Wildenten.

Zu den Prominenten, die Geld zurückzahlen mussten, gehörten auch Premierminister Gordon Brown und Tory-Chef David Cameron. Der schottische Pfarrersohn beanspruchte zu viel für Reinigungs- und Gartenarbeiten – um den Beschäftigten mehr als den Mindestlohn zu zahlen? Cameron verlangte jahrelang wegen seiner Hypothek den höchsten zulässigen Betrag. Doch statt vom »Torygraph« gegeißelt zu werden, verdonnerte der aalglatte Börsenmaklersohn alle Kollegen zur Ehrlichkeit und nutzte die Krise, um alte Hasen aus der Fraktion zum Verzicht auf eine neue Kandidatur zu bringen. Die Affäre dürfte Labour als Regierungspartei bei Neuwahlen mehr schaden als den Tories, von denen man ohnehin nichts Besseres gewohnt war.

Dabei hat die Spesengeschichte nicht nur den Zynismus bestärkt, sondern auch viel Schlimmeres aus den Schlagzeilen verbannt. Englands größtes Unternehmen etwa, die Waffenschmiede BAe Systems, muss nach einer außergerichtlichen Einigung mit US-amerikanischen Behörden wegen »Buchhaltungsfehler« eine Geldstrafe von umgerechnet 300 Millionen Euro berappen. In Wirklichkeit geht es um Bestechungsgelder von über einer Milliarde Euro an den saudischen Prinzen Bandar. Doch das steht dieser Tage wegen der Abgeordneten eher im Kleingedruckten.

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