Messerstichtaktik und Minimax-Aussperrung

IG Metall und Arbeitgeber bereiten sich auf einen Arbeitskampf vor / Unternehmer in Berlin klagen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Einen Tag vor Bekanntgabe der Urabstimmungs-Ergebnisse in der Metallindustrie stehen Gewerkschaft und Arbeitgeber vor einer harten Auseinandersetzung. Eine Einigung noch vor Streikbeginn schlossen sowohl IG Metall als auch Unternehmen aus.

Von einer Annäherung konnte in den letzten Tagen dann auch tatsächlich keine Rede sein. Die IG Metall, die im laufenden Tarifkonflikt 6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt sowie den Einstieg in einen gemeinsamen Entgeltrahmen für Arbeiter und Angestellte fordert, hatte mehrfach die von den Unternehmen angebotene Schlichtung abgelehnt. An einem Ausstand führt nun offenbar kein Weg mehr vorbei: Zwei Drittel der zur Urabstimmung gerufenen Kollegen müssen sich für den Streik aussprechen. Der Bezirksleiter der IG Metall in Berlin/Brandenburg, Hasso Düvel, rechnet mit einer deutlichen Mehrheit: »Wir brauchen 75 Prozent als Minimum, die erreichen wir mit Sicherheit.« Insgesamt wird in Baden-Württemberg und Berlin/Brandenburg in mehr als 1000 Betrieben in Urabstimmungen über den Streik entschieden.
Der dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit am 6. Mai beginnen. Die Gewerkschaft will dann mit einem »flexiblen Streikkonzept« in die Auseinandersetzung ziehen. IG-Metall-Vize Jürgen Peters erklärte, man wolle »die gesamte Branche empfindlich treffen und auf diesem Wege wirtschaftlichen Druck ausüben«. Die IG Metall plant, mit befristeten Streiks von Betrieb zu Betrieb zu ziehen. Damit soll die Produktion auch in den nicht bestreikten Tarifgebieten gestört werden.
Kommt es zum Streik, wollen die Arbeitgeber auch mit Aussperrungen reagieren. Der Präsident der Metall-Arbeitgeber, Martin Kannegiesser erklärte, »wenn sich die Betriebe auf Grund der Messerstichtaktik der IG Metall wirtschaftlich dazu gezwungen sehen zu reagieren, werden sie sich zur Wehr setzen.«
Dies könnte auch für jene Firmen gelten, die - obgleich nicht im Streikgebiet angesiedelt - dennoch von Arbeitskampfmaßnahmen betroffen sind. Auch dort könne es wegen der so genannten Minimax-Strategie zu Aussperrungen kommen. Durch gezielte minimale Aussperrungen im Arbeitskampfgebiet wollen die Arbeitgeber maximale Produktionsstilllegungen und damit auch Aussperrungen in anderen Tarifgebieten erreichen, sagte Kannegiesser. »Es spielt ja keine Rolle, ob jemand direkt oder indirekt betroffen ist«, die Betriebe müssten sich so oder so wehren können.
Dies halten Juristen indes für »höchst problematisch«. Der Hamburger Arbeitsrechtler Ulrich Zachert warnte die Arbeitgeber in der »Saarbrücker Zeitung« vor einem Verfassungsbruch. Die Rechtsprechung schreibt auch bei Aussperrungen die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit vor. Setzten Betriebe außerhalb der Streikgebiete dieses Mittel ein, könne es sich um eine »verfassungswidrige Angriffsaussperrung« handeln.
Bei einem der letzten größeren Streiks in der Metallindustrie waren im Jahr 1984 rund 155000 Beschäftigte ausgesperrt worden. Der Streik, an dem sich im Gegensatz dazu nur rund 57500 beteiligt hatten, dauerte 49 Tage an. Den längsten Ausstand gab es 1956/57. Damals streikten knapp 34000 Metaller für 112 Tage. Die meisten Streikenden gab es in der Metallindustrie 1973. Rund 555000 Kollegen legten damals die Arbeit nieder.
Unterdessen versucht der Verband der Metall- und Elektroindustrie (VME), mit einer einstweiligen Verfügung der IG Metall die weitere Durchführung der Urabstimmung untersagen zu lassen - Begründung: »Damit verstößt die IG Metall gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht.« Das Arbeitsgericht Berlin wird heute über den Antrag der Arbeitgeber entscheiden. Eine IG-Metall-Sprecherin erklärte jedoch, die Gewerkschaft sehe »dem Termin gelassen entgegen«. Mit weit weniger Gelassenheit reagierte die IG Metall auf Versuche seitens der Unternehmen, Journalisten bei der Berichterstattung über die Urabstimmung zu behindern - etwa bei Otis oder Siemens in Berlin. Hier zeige sich eine »Unfähigkeit, mit demokratischen Vorgängen« souverän umzugehen, so Düvel.

Aussperrung

Aussperrung ist die von Arbeitgebern erfolgte Arbeitsausschließung und das schärfste Kollektiv-Mittel der Unternehmen in der Tarifauseinandersetzung. Eine verfassungsrechtliche Grundlage hat es in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz.
Bei einer »heißen Aussperrung« werden die Beschäftigten planmäßig von der Arbeit ausgeschlossen, die Lohn- oder Gehaltsfortzahlung wird eingestellt. Die Arbeitgeber wollen damit Druck auf Gewerkschaft sowie Beschäftigte ausüben und das Streikrecht aushöhlen. Ausgesperrt werden dürfen nach der Rechtsprechung jedoch nur Arbeitnehmer, für deren Tarifvertrag gestreikt wird. Unzulässig ist die Aussperrung von Beschäftigten, die in einem anderen als dem bestreikten Tarifgebiet arbeiten, oder zwar in dem bestreikten Tarifgebiet arbeiten, aber unter einen anderen Tarifvertrag fallen. Mitglieder einer Gewerkschaft erhalten bei einer heißen Aussperrung finanzielle Unterstützung, deren Anspruch und Höhe sich nach der Satzung der entsprechenden Gewerkschaft richtet.
Bei der so genannten »kalten Aussperrung« beruft sich der einzelne Arbeitgeber darauf, dass die Arbeit wegen fehlender Zulieferteile oder fehlender Abnahme nicht möglich oder zumutbar ist. Er stellt die Arbeit ein und bezahlt keinen Lohn oder Gehalt. Kalt Ausgesperrte erhalten seit der Änderung des § 116 AF...

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